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Archiv-Artikel

Kompetent beim Experiment

JAZZFESTIVAL Halbzeit beim Enjoy-Jazzfestival in Mannheim und Heidelberg. Sein kompromissloses Programm und die ambitionierte Lobbyarbeit haben Vorbildcharakter

Der Saxofonist Joshua Redman tritt mit seinem neuen Trio in Mannheim zum weltweit ersten Mal auf

VON CHRISTIAN BROECKING

Der Saxofonist Joshua Redman hatte schon vorab erklärt, dass dies eines der besten Festivals in Europa sei. Entsprechend motiviert klang sein Auftritt in der mit 700 Besuchern ausverkauften „Alten Feuerwache“ in Mannheim. Sein Konzert ist Teil des sechswöchigen Enjoy-Jazzfestivals, das an mehreren Orten in der Metropolenregion Rhein-Neckar über die Bühnen geht.

Weltpremiere am Neckar

Redmans Trio mit Matt Penman am Bass und Gregory Hutchinson am Schlagzeug spielt in Mannheim seine Weltpremiere. Ihre Coverversion von „The Ocean“ macht deutlich, wie sich die Repertoire-Definition des Jazz in jüngster Zeit verändert hat. So respektlos, wie Redman mit Led Zeppelin umspringt, zelebriert der Pianist Vijay Iyer die Musik des Freejazzers Julius Hemphill. Seit er Anfang der Neunzigerjahre zum ersten Mal die Hemphill-Aufnahme „Dogan A. D.“ aus dem Jahr 1972 hörte, ließ ihn die Musik nicht mehr los. Erste Versuche, „Dogan A. D.“ als Trio-Version zu spielen, machten ihn nicht glücklich. Beim kräftig pulsierenden Original habe er immer das Gefühl gehabt, dass sich die Musik vom Tonträger trennt und ein Eigenleben annimmt. Doch jetzt ist Iyer mit seinem Trio eine tragfähige Interpretation gelungen. Unterstützt vom Bassisten Stephan Crump und dem Drummer Marcus Gilmore beginnt der New Yorker Pianist die halbjährige Welttournee zu seinem neuen Album „Historicity“ mit einem umjubelten Konzert im Heidelberger Karlstorbahnhof.

Fast 25.000 Zuschauer strömten zu den 60 Konzerten des Enjoy-Jazz-Festivals des Vorjahres. Auch 2009 verspricht das Festival wieder zu einem Publikumsmagneten zu werden. Festivalleiter Rainer Kern ist zuversichtlich, diesmal sogar noch mehr Zuschauer zu seinen Konzerten anlocken zu können. Ein Geheimnis für die ungewöhnlich intensive Bindung zwischen Künstler und Publikum habe er nicht, sagt der ambitionierte Kulturvermittler. Kompromisslosigkeit, was die Programmation angeht, und eine auf Nachhaltigkeit zielende Lobbyarbeit lauten seine Devisen.

Um etwa Landtagsabgeordnete der Städte Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen und Stuttgart zu Förderungsmaßnahmen für den Jazz zu bewegen, bedarf es der kontinuierlichen Überzeugungsarbeit, aber das zahle sich aus, so Kern.

Gestiegene Subventionen

Die Subventionen sind in den letzten Jahren gestiegen, obwohl immer noch zwei Drittel des Budgets aus Sponsorengeldern beglichen werden. Doch das sollte sich ändern, sagt Kern. Er will das Festival nach elf Jahren der Vorleistung besser abgefedert wissen. Planungssicherheit ist ein wichtiges Nahziel, private Sponsoren, Freunde und Ehrenamtliche seien zwar höchst willkommen, könnten aber die Verantwortung nicht alleine schultern.

Anders als das renommierte Jazz-Festival im schweizerischen Montreux, das vor allem mit teuren Popstars jazzferne Schichten ködert, setzt Kern gezielt auf Jazzmusiker mit sublimer Kompetenz für das Improvisierte und Experimentelle. Das schließt neben jungen Bands wie dem New Yorker Quartett Mostly Other People Do the Killing auch Thomas Zehetmair und das Ensemble Modern ein, das in dieser Woche beim Enjoy Jazz auftreten wird. Mit dem Programmschwerpunkt „40 Jahre ECM“ und einer Kooperation mit dem norwegischen Punkt-Festival laufen dieses Mal auch eigenständige Veranstaltungen im Rahmen von Enjoy Jazz.

Das 2005 gründete Punkt-Festival hat sich einen Namen als Klanglabor und Experimentalspielwiese gemacht. Neben Jon Hassell und Sweet Billy Pilgrim wird bei der Punkt-Kooperation der Ensemble-Modern-Auftritt von Jan Bang, Eric Honoré und der Sängerin Sidsel Endresen durch Live-Sampling zu einem Meta-Konzert verdichtet.

Das viertägige ECM-Special ist am Sonntag mit dem fulminanten Europa-Debüt von Enrico Ravas New York Days Band und dem Saxofonisten Mark Turner zu Ende gegangen. Neben einem Symposium zur Labelgeschichte gab es während des ECM-Schwerpunkts insgesamt elf hochrangig besetzte Konzerte, die sich nicht aus den Tourangeboten der Agenturen speisten.

Neben dem Quintett des französischen Bassklarinettisten Louis Sclavis und dem Gitarristen Ralph Towner – zusammen mit Keith Jarrett eines der Aushängeschilder im ECM-Stall – glänzte auch der brasilianische Gitarrist und Pianist Egberto Gismonti mit seinem einzigen Konzert in Europa.