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Archiv-Artikel

Bremen schenkt

GUTES TUN Eine Bremerin will die Welt via Facebook zu einem besseren Ort machen: Sie und 5.000 andere machen sich gegenseitig Geschenke

Häufig kam es zu Streitereien, weil mehrere Leute das gleiche Geschenk haben wollten

Eva Schwarz läuft zu ihrem Schreibtisch und blickt auf den flimmernden Bildschirm. Auf dem blauen Hintergrund leuchtet ein kleines rotes Symbol auf. Vielleicht hat sich schon jemand auf ihr Angebot gemeldet. Eva ist Mitglied in der Gruppe „Bremen verschenkt, teilt, gibt!“ Via Online-Netzwerk Facebook verschenken hier täglich mehrere hundert Leute Dinge, die sie nicht mehr benötigen: Schreibtischstühle, Kinderkleider, CDs, Bücher, Fahrräder, Schnuller – wer nur lange genug sucht, der findet hier, was er sucht. Aber nicht nur Gegenstände werden in der Gruppe verschenkt, auch Tipps oder Handwerksdienste werden angeboten. Junge Bands verschenken sogar Konzerte.

Eva trat der Facebook-Gruppe mit einem prägnanten Angebot bei: „Ich verschenke eine halbe Monatsmiete!!“ Hinter dem Satz mit den zwei Ausrufezeichen versteckt sich ein durchaus wirtschaftlicher Gedanke: Kurzfristig hat die 26-Jährige die Chance, ihre Traumwohnung in Bremen-Findorff zu beziehen, findet aber so schnell keinen Nachmieter für ihre alte Wohnung. „Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn ich zwei Monatsmieten zahlen müsste“, sagt de technische Konstrukteurin. Deshalb hat sie sich dazu entschlossen, dem zukünftigen neuen Mieter eine halbe Monatsmiete zu schenken und darauf zu hoffen, dass sich vielleicht so jemand findet. „Ich hatte schon auf einem anderen Portal inseriert, nur hat sich da niemand gefunden“, erklärt sie. Von ihrer Vormieterin bekam sie den Gruppen-Tipp.

„Am Anfang hab ich mir noch jedes Geschenk genau angeguckt, mittlerweile ist es viel zu viel für mich geworden“, sagt Gruppen-Gründerin Kerstin Heipel. Mehrere Stunden am Tag verbringt sie in der Gruppe und wundert sich, wie viele Mitglieder mittlerweile aktiv sind und wie fleißig verschenkt wird. Seit die Gruppe im Mai online gegangen ist, sind schon fast 5.000 Mitglieder eingetreten.

Die Geschenkgruppe soll keine Tauschbörse sein, „Das Geben basiert auf reiner Nächstenliebe“, so steht es ausdrücklich auf der Seite. „Es soll eine Geschenkgruppe sein, keine Ich-biete-und-möchte-dafür-das-haben-Gruppe“, betont Heipel. Je weniger Regeln, desto besser, findet die Gründerin. Trotzdem muss sie sich hin und wieder dazwischen schalten. Häufig kam es in der Vergangenheit zu Streitereien, weil mehrere Leute das gleiche Geschenk haben wollten. Seitdem gibt es in der Gruppe den Grundsatz, dass der -oder diejenige, welcheR als erstes Anspruch auf das Objekt der Begierde stellt, es auch haben darf.

Dennoch bekommt Heipel täglich mehrere Nachrichten von Personen, die sie um Rat fragen. „Leute schreiben mir, dass sie aus diesem oder jenem Grund einer gewissen Person das Geschenk nicht machen möchten“, erzählt sie aus dem psychosozialen Innenleben der Gruppe – sie versucht dann zu vermitteln. „Trotzdem muss ich mein Geschenk niemandem schenken, den ich nicht mag.“

Die Resonanz sei durchweg positiv, sagt Heipel: „Leute sagen mir ganz oft, wie toll sie die Idee finden.“ Ob die die übergeordnete Idee sehen, die hinter der Gruppe steckt, oder lediglich die Möglichkeit, für lau etwas abzugreifen, weiß sie nicht. „Selbst wenn nicht – über die Gruppe kommt es zu vielen tollen Begegnungen und zu einem positiven Austausch.“

Da die Geschenke direkt an der Haustür abgeholt werden, kommt man ins Gespräch. Dabei sind schon echte Freundschaften zwischen den Mitgliedern entstanden, aber auch verwunderte Blicke auf die Person hinter dem halbwegs anonymen Facebook-Profil. Dadurch, dass häufig nur kurze Nachrichten über das Wann und Wo miteinander gewechselt werden, ist die Person, die dann vor der Haustür steht, meistens völlig fremd.

Seit ein paar Stunden befindet sich jetzt das Angebot von Eva Schwarz in der Gruppe, und schon mehrere Anfragen haben sie erreicht. Heipel erinnert sich an das allererste Gruppen-Geschenk: Eine Frau wollte den Sessel eines schwedischen Möbelherstellers loswerden. „Aber ich als Gruppengründerin wollte nicht diejenige sein, die sofort zugreift.“ Dass sich nach Tagen noch niemand gemeldet hatte, kam ihr sehr gelegen. Noch heute steht der Sessel zwischen Bücherregalen in ihrem Wohnzimmer. BENJAMIN EICHLER

Die Gruppe findet sich unter www.facebook.com/groups/437506516276784/