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Archiv-Artikel

Obama schaut auf seine Notizen

USA Demokraten enttäuscht, Republikaner beglückt, niemand begeistert: Wie Studierende die Fernsehdebatte zwischen Mitt Romney und Barack Obama erleben

US-Wahlkampf

■ Am 6. November wird gewählt. Vor der Debatte lag Barack Obama in allen nationalen Umfragen vorn, auch in den umkämpften „Swing States“, die weder fest in demokratischer noch in republikanischer Hand sind. Ob sich das mit Romneys gelungenem Auftritt verändert, bleibt abzuwarten.

■ Drei weitere Fernsehdebatten folgen: Am Donnerstag kommender Woche diskutieren Vizepräsident Joe Biden und sein Herausforderer Paul Ryan in Danville, Kentucky, am 16. Oktober treffen Obama und Romney in Hempstead, New York, erneut aufeinander, diesmal im sogenannten Townhall-Format, und am 22. Oktober debattieren sie in Boca Raton, Florida über Außenpolitik. An den Ort dürfte Romney schlechte Erinnerungen haben – dort entstand bei einem Treffen mit reichen Sponsoren das berüchtigte „47-Prozent“-Video.

■ Zwischen den Debatten und bis zum Wahltag planen beide Kandidaten unzählige Auftritte in den Swing States und geben Millionen Dollar für Fernsehspots aus.

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

„Four more years“, skandiert eine kleine Gruppe im rechten Teil des Raums. „USA – USA“, echot eine andere Gruppe von der linken Hälfte des „Continental Ballroom“ her. Es klingt wie eine Pflichtübung. Die mehreren hundert jungen Leute haben 90 Minuten höflich zugehört. Kaum ist die erste Presidential Debate dieses Wahljahres vorbei, drängen sie eilig aus dem Saal im dritten Stock der George Washington University hinaus. Es ging um Arbeitsplätze, um Steuern und um Gesundheitspolitik.

Die jungen Leute an der Renommieruniversität können am 6. November zum ersten Mal einen Präsidenten wählen. Sie haben erlebt, wie Mitt Romney, von dem kaum jemand einen guten Debattenauftritt erwartet hatte, den Ton bestimmt hat und fast ununterbrochen in der Offensive war. Wie Präsident Barack Obama fast ununterbrochen defensiv blieb. Und oft den Eindruck vermittelte, er wäre lieber ganz woanders. Und wie Moderator Jim Lehrer genauso gut hätte abwesend sein können.

„Bleibt höflich“, hat ein Organisator die StudentInnen zu Beginn des Abends gemahnt. Doch das war nicht nötig. Kein einziger Moment der Debatte lockt das junge Publikum aus der Reserve. Als Obama 100.000 neue Jobs für MathematikerInnen und NaturwissenschaftlerInnen ankündigt, klatschen die demokratischen StudentInnen artig. Als Romney das private Unternehmertum als bessere Alternative auch für die Gesundheitsversorgung von RentnerInnen lobt und versichert, dass er das starke Militär beibehalten will, klatschen die RepublikanerInnen. Manche von Letzteren tragen dunkelblaue T-Shirts mit dem republikanischen Elefantenlogo. Manche schwenken vorgedruckte Kartons, auf denen von einem „Comeback“ die Rede ist. Einer trägt den Namen eines längst toten Politikers in großen Lettern: „Ronald Reagan for President“. Romney oder Obamas Konterfei trägt niemand.

Romney behandelt den Präsidenten der USA wie einen dummen Jungen, der lügt

„Wir erleben Obama seit vier Jahren. Und wir hören Romneys Wahlkampf seit vielen Monaten“, versucht die 20-jährige Brittney Warrick eine Erklärung, „fast alle haben ihre Entscheidung längst gefällt“. Sie kommt aus Florida, studiert internationale Beziehungen und will später im Bereich „nationale Sicherheit“ arbeiten. Sie weiß seit langem, dass sie demokratisch wählt. Die gleichaltrige Soziologiestudentin Tyler Eastman, ebenfalls Demokratin, hat Romney als extrem nervös erlebt: „zitternd und schwitzend“. Jonathan Carfagno hat einen ganz anderen Eindruck: „Es war eine sehr gute Debatte“, meint der junge Republikaner. Den Politikstudenten hat überrascht, wie „vorsichtig“ der Präsident war.

Spencer Dixon, Präsident der jungen DemokratInnen an der Universität, stammt aus einer demokratischen Familie. Und bezeichnet sich selbst als „moderater“ als seine Eltern. Der 20-Jährige ist bereits in mehreren Swing States unterwegs gewesen, um Wahlkampf für Obama zu machen. Die Gesundheitsreform, die Verhinderung einer zweiten großen Depression und der Abzug aus dem Irak sowie die Abwicklung des Afghanistankriegs sind dabei seine wichtigsten Argumente für die Wiederwahl des Präsidenten. Spencer Dixon sagt am Anfang des Abends, er hoffe, dass der Präsident seine Bilanz in der Debatte anführe.

Doch Obama tut das nur in Sachen Gesundheitsreform. Die verteidigt er in der Debatte. Erinnert daran, dass StudentInnen künftig bis zum Alter von 26 Jahren bei ihren Eltern versichert bleiben können und dass Krankenversicherungen niemanden mehr wegen bestehender chronischer Krankheiten ausschließen dürfen. Doch in allen anderen Punkten lässt er Romney fast unwidersprochen gewähren. Er schaut seinen Herausforderer kaum an. Und blickt auch nicht oft in die Kamera, sondern schaut stattdessen in seine Notizen, als müsste er sich mitten in seiner wichtigsten Debatte erst einstimmen. Obama erwähnt nicht einmal die Rettung der US-Autoindustrie durch seine Intervention. Und er sagt auch nichts über die berüchtigten „47 Prozent“, mit denen Romney erst kürzlich Negativschlagzeilen gemacht hat. Vor SponsorInnen, mit denen er sich unbeobachtet glaubte, hatte er gesagt, dass „47 Prozent“ von Sozialleistungen „abhängig“ seien, keine Verantwortung für ihr Leben übernähmen und er sich nicht um sie kümmern würde.

Für den 19-jährigen Republikaner Mike Morgan, der gegenwärtig studentische Politik an der Universität macht und eines Tages in der Gesundheitsversorgung arbeiten will, zeichnet sich Präsident Obamas erste Amtszeit durch einen „Mangel an Leadership“ aus. Von Romney erwartet der junge Mann in der ersten Debatte, dass der „intelligent ist und zeigt, dass er die Wirtschaft und die internationalen Geschäfte führen kann“.

Kein einziger Moment der Debatte lockt das junge Publikum aus der Reserve

Wie Romney das machen will, verrät er in der Debatte nicht. Er will Obamas Gesundheitsreform – „Obamacare“ – an seinem ersten Amtstag abschaffen. Und sagt, dass er eine Alternative habe. Sagt aber nicht, worin die besteht. Er will auch Obamas etwas strengere Regeln für die Wall Street abschaffen und ersetzen. Sagt aber nicht, womit. Kanzelt den Journalisten mehrfach ab. Kündigt an, die Subventionen für seinen öffentlichen Fernsehsender abzuschaffen. Und behandelt den Präsidenten der USA wie einen dummen Jungen, der lügt.

Obama schaut unterdessen auf seine Notizen. Während die StudentInnen in der George Washington University auf dem Heimweg sind, beginnen die Spin-DoktorInnen von Romney und Obama ihre Interpretationsarbeit des Abends. Alle ersten Reaktionen zeigen, dass Romney der Gewinner der Debatte ist.

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