Schuld und Scham

THEATER Streit um die Repräsentation kolonialer Geschichte beim Festival Foreign Affairs in Berlin

Das Schweigen der Darsteller, ihre Bewegungslosigkeit, potenziert das Gefühl des Gefangenseins

Selten ist dem Betrachter so ungemütlich wie in „Exhibit B“, einer Performance des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey. Sie ist in dem neuen Festival Foreign Affairs, zu dem die Berliner Festspiele nach Berlin einladen, ein Stück, das der Kuratorin Frie Leysen sehr am Herzen liegt – weil es aus südafrikanischer Perspektive einen Blick auf die Geschichte des Kolonialismus wirft. Doch gerade diese Produktion zog schnell den Vorwurf auf sich, eine Art Peep-Show des Kolonialismus zu sein, die zwar Gefühle der Schuld und der Scham wachruft, einen rassistischen Blick aber nicht verlässt. Die Vorwürfe kamen von Bühnenwatch, einem Zusammenschluss von Aktivisten und Theaterwissenschaftlern, und wurden auch auf einem Symposium des Festivals heftig diskutiert.

Tatsächlich ist der rassistische Blickwinkel etwas, mit dem Bailey operiert. Er dockt in „Exhibit B“ an die Völkerschauen an, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen europäischen Großstädten zu sehen waren und ungebrochen die Ausbeutung der Kolonien feierten. Wie dort ist es hier ein meist weißes Publikum, das schwarze Darsteller anschaut. Der Unterschied aber ist, dass Bailey in seinen lebenden Bildern grade die Grausamkeiten der Kolonialzeit thematisiert: Man sieht etwa eine Afrikanerin, die hinter Stacheldraht sitzt, ja einerseits fast wie eine Königin thront, anderseits aber jeden einzelnen Zuschauer mit ihrem traurigen Blick berührt. Masken und Schädel rahmen sie, eine Art Voodoo, könnte man meinen – aber es geht eben nicht um irgendwelche animistischen Traditionen, sondern um eine entwürdigende Praxis aus Deutsch-Südwestafrika, als die in Lagern internierten Frauen der Herero von den sogenannten Schutztruppen gezwungen wurden, die Köpfe von hingerichteten Mithäftlingen auszukochen, um sie zu Forschungszwecken nach Deutschland zu schicken.

Tatsächlich erlebt der Besucher von „Exhibit B“ einen doppelten Schrecken, zum einen die Begegnung mit dieser Geschichte, zum anderen hält er kaum aus, selbst von den Darstellern angeschaut zu werden. Ob darin eine Umkehrung des Blicks liege, eine kritische Revision der Erniedrigung zum Objekt des Angeschauten, das eben ist die Frage. Bühnenwatch jedenfalls sah hier eher die Karriere eines weißen Künstlers mit der schmerzvollen schwarzen Geschichte erkauft.

Das besondere beim Weg durch „Exhibit B“ ist die Stille und das Schweigen. Zu hören ist einzig der Gesang eines Nama-Chores, der polyphone Klagelieder singt – die Köpfe der Sänger schauen dabei aus Kästen heraus und nehmen das Motiv der abgeschlagenen Köpfe auf. Das Schweigen der Darsteller, ihre Bewegungslosigkeit, aber potenziert das Gefühl des Gefangenseins, der Ausweglosigkeit. Man fühlt sich selbst wie aufgespießt, ohne Möglichkeit, der Betroffenheit etwas entgegenzusetzen. Brett Bailey, der sich in einer kurzen Vorrede gegen das Klischeebild vom Opfer wendet, vom schwarzen Kind mit Fliegen in den Augen, schraubt seine Darsteller dennoch in Opferbilder fest. Diese Strategie der Überbietung tut weh – nicht nur dem Zuschauer, auch den Darstellern sicherlich. Und das ist der Punkt, der dann doch die heftigste Ablehnung erzeugt, man möchte in die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht auf deren Kosten einsteigen.

KATRIN BETTINA MÜLLER