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Archiv-Artikel

Springer satt: Wenn „Bild“ und Glotze heiraten

Das Abc des Megamediendeals. Was passiert mit der Meinungsvielfalt, wenn die Axel Springer AG die TV-Sender-Gruppe ProSiebenSat.1 schluckt?

Etwas Großes bahnt sich an in der deutschen Medienlandschaft. Es wird von irgendeiner Aktion des Springer Verlages berichtet. Das Verlagshaus, dem die mächtige „Bild“-Zeitung gehört, will sich mit ProSiebenSat.1 zusammenschließen. Das ist der vom Umsatz her größte private Fernsehsender. Begriffe wie Agenda-Setting oder Kartellamt machen die Runde. Und es fallen Namen wie Haim Saban oder Mathias Döpfner. Aber worum, zum Teufel, geht es eigentlich? Die Grundlagen der Megamedienfusion für SchülerInnen – erklärt von SchülerInnen, die ein Zeitungspraktikum in der taz absolvierten.

VON ANTONIA MARKERUND PHILIPP BENG

Axels Erben gehen einkaufen. Axel Cäsar Springer ist der Gründer des gleichnamigen Zeitungskonzerns Axel Springer Aktiengesellschaft, gern auch als Springer-Presse tituliert. Das konservative Verlagshaus, Mutter von Bild und extrem einflussreich, will die große private Senderfamilie ProSiebenSat.1 schlucken. Dazu werden die Anteile des amerikanischen Medienhändlers Haim Saban aufgekauft. Im Zusammenspiel des mächtigen Boulevardblatts Bild mit eigenen Fernsehsendern bekäme Springer ungeheure Macht. Um die deutsche Medienwelt zu beherrschen – und die Meinungen in der Gesellschaft.

Gerhard Schröder, der Medienkanzler, sagt gern, um Deutschland zu regieren, reiche ihm „Bild, Bild am Sonntag und Glotze“. Alle drei lägen künftig im Falle einer Springer-Sat.1-Fusion in einer Hand. Eine gefährliche Mischung – die nur noch die Kartellbehörden verhindern können; sie kontrollieren Firmenkonzentrationen, um die marktbeherrschende Stellung einzelner Anbieter zu verhindern.

Boss: Dr. Mathias Döpfner, 42. Der Chef der Axel Springer AG, früher oberster Journalist der Welt, fädelte den Deal mit ProSiebenSat.1 ein. „Weil wir anders sind als der deutsche Meinungsmainstream, sind wir vielen ein Dorn im Auge“, spielt er die Unschuld. Durch die Zusammenlegung mit der Sendergruppe ProSiebenSat.1 bekäme er, was er nicht haben sollte: mehr Medienmacht.

Cash, jede Menge: Haim Saban, 60. Der israelisch-amerikanische Medienunternehmer gilt als Abräumer in der Branche. Nach der Pleite des Filmmoguls Leo Kirch, der einen Großteil von ProSiebenSat.1 sein Eigen nannte, wurde Saban zum Hauptaktionär der Fernsehgruppe. Der in Alexandria geborene Saban zahlte für die vielen Kirch-Aktien über eine halbe Milliarde Euro – nun verkauft er seinen Anteil für 2,5 Milliarden Euro. Das heißt: Haim Saban hat ein gutes Geschäft gemacht. Die Nachrichtenagentur dpa kniet vor ihm nieder: „Sein Charme und sein Verhandlungsgeschick sind legendär.“

Druck-Mittel: Bild und Glotze, also Fernsehen. Die Bild ist das wichtigste Machtinstrument des Springer-Verlags. Sie hat eine Auflage von über 3,5 Millionen Exemplaren. Da viele Ausgaben durch mehrere Hände wandern, geben rund zwölf Millionen BundesbürgerInnen an, Bild regelmäßig zu lesen. Bild setzt Themen, sie bestimmt massiv die öffentliche Meinung. Manche sagen, Bild manipuliere die Köpfe der Menschen. Wie macht sie das? Sie erregt mit reißerischen Schlagzeilen die Aufmerksamkeit der Leute. Mit großen Bildern und viel nacktem Fleisch beutet die Bild die Gefühle der Menschen aus. Sie bedient das Verlangen nach Sensation und Skandal. Sie bestimmt über Karrieren von Politikern und so genannten Promis – Prominenten, von denen man nicht recht weiß, für welches Talent sie ihre Bekanntheit eigentlich verdienen.

Bild-Schreiber haben die Macht, so seltsame Multitalente wie Daniel Küblböck zu erschaffen. Sie jubeln sie erst hoch – und schreiben sie dann wieder runter. Das zieht LeserInnen. Und bringt Profit – oftmals für beide Seiten, weil Bekanntheit im Mediengeschäft eine teure Ware ist. Durch das Verschmelzen mit dem anderen Machtmedium, dem Fernsehen, würde die manipulative Macht der Axel Springer AG enorm verstärkt.

Erfolgsformat: „Verliebt in Berlin“. Ja, auch die beliebteste deutsche Telenovela auf Sat.1 würde bald zum Springer-Komplex gehören. Sehr wahrscheinlich ist, dass das Format durch Bild in Zukunft weiter hochgejubelt wird. Bild empfiehlt Glotze, Glotze rät zur Bild – das wird bei Springer in Zukunft vermutlich gängige Praxis sein.

Finanzierung: Die Übernahme der ProSiebenSat.1-Gruppe kostet den Springer-Konzern über vier Milliarden Euro, ausgeschrieben sind das 4.000.000.000. Jede Menge Nullen. Deswegen will er sich laut Handelsblatt von Immobilien im Wert von etwa 250.000.000 Euro trennen. Angeblich wird sogar geprüft, den Firmensitz in Berlin an eine Bank zu verkaufen. Das Hochhaus an der Berliner Rudi-Dutschke-Straße – ein Symbol, von dem aus Axel Springer auf den Osten herabsah – muss für den Deal herhalten. Man will das Gebäude danach zurückmieten – als Gast im eigenen Haus.

Gratiszeitungen: Eine große Gefahr für den Springer-Verlag ist der Vertrieb von Gratiszeitungen. Sie könnten die Auflage von Bild und damit die Anzeigenpreise schädigen. Vor fünf Jahren versuchte der norwegische Verlag Schibsted schon einmal, Gratiszeitungen in Köln zu verlegen, scheiterte aber. Jetzt soll er mit der RTL Group, Tochter des größten Springer-Konkurrenten Bertelsmann, in Verhandlungen stehen. Doch Springer-Chef Döpfner macht sich Mut: „Wir sind gewappnet!“ Er sei selbst nach den Milliarden für ProSiebenSat.1 noch in der Lage, teure Wettbewerbsschlachten gegen aggressive Investoren aus dem Ausland auszufechten.

Konkurrent: Bertelsmann. Er bleibt der Gigant. Der größte Medienkonzern Europas wird den Springer-Verlag auch nach dessen Übernahme von ProSiebenSat.1 noch um ein Vielfaches überragen. Hinter dessen Größe versucht Springer sich zu verstecken. Ganz nach dem Motto: Die anderen dürfen auch! Bertelsmann gehört neben Zeitungs- und Buchverlagen auch das europaweit größte Fernsehhaus RTL Group. Bertelsmann ist über seine Tochter Gruner + Jahr zwar an den Magazinen Stern und Spiegel beteiligt, allerdings ohne bestimmenden Einfluss. Ansonsten geben Bertelsmann-Unternehmen in erster Linie unpolitische Zeitschriften wie Brigitte heraus und agieren in einem höheren Maße international als die Springer AG. Der nationale und politische Einfluss des Springer-Verlages ist also größer und somit gefährlicher.

Meinungsvielfalt, bedrohte: Medien beeinflussen die öffentliche Meinung. Einer der Effekte wird Agenda-Setting genannt. Sprich: wer entscheidet, worüber man redet. Forscher haben herausgefunden, dass die Medien unser Bild von der Wichtigkeit von Nachrichten stark beeinflussen. Konservative Gehirnwäsche wird dem Springer-Verlag schon lange vorgeworfen. Durch ein medienübergreifendes Erscheinen von noch mehr Springer-Produkten könnte nun die empfindliche Meinungsvielfalt Schaden nehmen. Manche sehen schon die ganze öffentliche Meinung Deutschlands nach rechts abdriften.

Objekt der Begierde: ProSiebenSat.1. Die Mediengruppe aus München ist mit den Sendern ProSieben, Sat.1, Neun Live, Kabel 1 sowie dem Nachrichtensender N 24 vom Umsatz her der größte private Fernsehanbieter; mehr Zuschauer hat allerdings der Privatsender RTL. Mit dem Zusammenschluss von Fernseh- und Printmedien erhielte Springer eine „crossmediale“ Vormachtstellung, das ist eine über verschiedene Mediensparten reichende Dominanz. Sie könnte also durch mehr Präsenz in verschiedenen Medien ihr Gewicht in der politischen Meinungsbildung verstärken. Gefährlicher und in seinen Wirkungen noch kaum abschätzbar: die koordinierte Bearbeitung von Themen durch bisher getrennte Redaktionen in Fernsehen und Zeitungen.

Reaktionen: „Wenn die Butter das Brot kauft, geht es immer um die Wurst“, sagt Norbert Schneider, Direktor der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien. Eine „Elefantenhochzeit“ sieht der Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Giovanni di Lorenzo. „Deutschland braucht kein Springer-TV“, findet Michael Konken, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes. Kritiker sehen in der Fusion eine Gefahr. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) dagegen freut sich über eine „klare Stärkung des Medienstandorts Deutschland und Bayern“. Kein Wunder: Der Hauptsitz von ProSiebenSat.1 ist München. Stoiber ist die Schaffung eines international wettbewerbsfähigen Medienkonzerns wichtiger als die bedrohte Meinungsvielfalt.

Schiedsrichter: das Bundeskartellamt und die so genannte Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Diese beiden Institutionen überprüfen, ob die Vereinigung des Verlags von Bild, Welt und vielen anderen Zeitungen mit der Sendergruppe ProSiebenSat.1 dem Springer-Imperium nicht zu viel Meinungsmacht in die Hand gäbe.

Die KEK vertritt dabei die Landesmedienanstalten und arbeitet eng mit dem Bundeskartellamt zusammen, das in Deutschland für Unternehmenszusammenlegungen zuständig ist. Für ihre Entscheidung über die große Medienfusion wollen die Kartellwächter sich wohl vier Monate Zeit nehmen.

Teuflisches Rechenspiel: Quotengrenze. Normalerweise darf laut Gesetz ein Medienunternehmen mit seinen Produkten nur einen Zuschaueranteil von 30 Prozent erreichen. Damit soll ein zu starker Einfluss auf die Meinungsbildung der Bevölkerung verhindert werden. Der Anteil von ProSiebenSat.1 liegt bei 22 Prozent. Um auf die „Gesamtquote“ der Axel Springer AG zu kommen, muss aber auch die Reichweite der von ihr verlegten Zeitschriften und Zeitungen einbezogen werden. Wie das geschehen soll, ist strittig. Das Errechnen der Gesamtqoute ist die schwierige Aufgabe der KEK.

Verlierer: die Kleinaktionäre. Die DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) kritisierte das Angebot des Springer-Verlags an die Kleinaktionäre von ProSiebenSat.1 als zu niedrig. Die Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien sollen nur 14,11 Euro für ihre Papiere bekommen. Für eine Stammaktie mit Stimmrecht des Medienunternehmers Haim Saban zahlt Springer hingegen satte 23,37 Euro.

Yam: hippe Jugendzeitschrift, die ebenso wie Mädchen, Familie & Co, Musikexpress, Rolling Stone, Metal Hammer, Popcorn, Funkuhr, Jolie oder Hör zu zum Springer-Konzern gehört. Insgesamt ist die Axel Springer AG an 21 Zeitungen und 52 Zeitschriften sowie an 28 Radiosendern direkt oder indirekt beteiligt. Das zeigt, wie sehr der Medienmarkt schon vor der drohenden Fusion von Springer durchdrungen ist.