: Die Gnade der Diffamierung
Zum (späten) Ende des Jubiläumsjahrs feiert der Norden den Expressionisten Emil Nolde in weiteren Ausstellungen. Und wieder geht es um die Frage: Lassen sich Werk und nationalsozialistische Gesinnung trennen?
Von Friederike Grabitz
„Hier denken Sie vielleicht, Sie hätten sich im Raum geirrt“, sagt Alexander Bastek. Der Leiter des Lübecker Museums Behnhaus Drägerhaus geht durch die Retrospektive, die er anlässlich des 150. Geburtstags von Emil Nolde mit kuratiert hat. Das Bild, vor dem er steht, ist ein filigran gezeichnetes Portal, eine Art künstlerische Bauzeichnung.
Gegenüber hängen die Bergpostkarten, mit denen Hans Emil Hansen, wie der Maler damals noch hieß, zum ersten Mal kommerziell erfolgreich war: Schweizer Gipfel als Groteske, der Watzmann mit Gesichtern im Karikaturen-Stil. Die Ausstellung ist chronologisch, jeder Raum ein neuer Ort und ein neues Lebensalter. Schemenhaft kolorierte Tänzerinnen scheinen sich zu bewegen – Berlin, Noldes Winter-Residenz. Strandmonate, Krankheit, religiöse Erweckung: eine Serie Heiligenportraits, kaum mehr als Skizzen. Die Neuguinea-Expedition: klimatische Farben – schwarz-weiße, vermummte Frauengestalten in Sibirien, dann stolze, geheimnisvolle Portraits in leuchtendem Südsee-Dunkelgrün.
Und immer wieder gleißen und glühen Seelandschaften, zum Strahlen gebracht unter drohenden Wolkenwänden. Das hat was, ist aber auch eine Spur zu schnoddrig, zu unfertig. Sind diese Bilder harmlos, oder sind sie provokant? „Nolde kann immer noch provozieren“, sagt Bastek, „zum Beispiel, wenn Besucher in Foren schreiben: Was soll das? Das kann ich doch auch“.
Es gibt zwei unterschiedliche Erzählungen über das Leben Noldes. Die eine spielt in seinem Landhaus „Seebüll“ nahe der dänischen Grenze, wo er 1941 heimlich seine „ungemalten Bilder“ zu Papier brachte – in Aquarell, denn Ölfarben hätten Gestapo-Kontrolleure riechen können. Ein verfemter Maler, dessen Werke 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen waren und der 1941 unter Berufsverbot stand. Siegfried Lenz hat diese Legende verewigt in seinem berühmten Roman „Die Deutschstunde“, für den Noldes (vermeintliches) Schicksal als Vorlage diente.
Tatsächlich, sagt Bastek, könnte der Gestapo-Polizist, den der „gebrandmarkte Künstler“ im Roman so fürchtete, ein Unterstützer gewesen sein. Damit sind wir in der zweiten, in der unbequemen Erzählung über den Maler, der so gern Repräsentant einer germanischen Kunst gewesen wäre, die er als überlegen ansah. Schon früh trat Nolde der späteren NSDAP Nordschleswig bei und distanzierte sich zeitlebens nie davon. Er agitierte antisemitisch gegen Max Pechstein, Paul Cassirer und Max Liebermann. Adolf Hitler bewunderte er als „groß u. edel in seinen Bestrebungen“ und als „ein genialer Tatmensch“. Nolde verdiente auch während der NS-Zeit mehr Geld als die allermeisten Künstler.
„Emil Nolde und das Meer“ ist eine weitere Ausstellung zum vielleicht bekanntesten malenden Norddeutschen betitelt, die am Samstag im Museum Kunst der Westküste Alkersum auf Föhr eröffnet wird und bis ins nächste Jahr zu sehen ist.
Mit dem Meer auseinandergesetzt hat sich Nolde, naheliegenderweise, immer wieder. Umso überraschender klingt es, das die Föhrer Ausstellung erklärtermaßen die erste zu diesem Sujet ist.
Die Nolde-Forschung weiß den Ausstellungsmacher*innen zufolge von einem breiten Spektrum an Meeresbildern, die Nolde über einen Zeitraum von über fünf Jahrzehnten entwickelt hat. Da könnte man es beinahe schon wieder knapp finden, dass nun auf Föhr 25 Gemälde und gut 50 Aquarelle präsentiert werden.
„Emil Nolde und das Meer“. Eröffnung: Sa, 8. 9., 17.30 Uhr, Ausstellung: 9. 9., bis 6. 1. 2019, MKdW, Alkersum/Föhr;
Begleitprogramm und alle Infos auf https://mkdw.de/index.php
Im Kern geht es um die Frage, ob Gesinnung und Absicht entscheidend sind für die posthume Bewertung eines Werkes – oder das Ergebnis. Oft wird sie andersherum gestellt: Wird eine schlechte Tat weniger verwerflich, wenn sie gut gemeint war? Bei Nolde muss sie heißen: Ist es ein Persilschein, dass Noldes Farbgebung vielen Nazis als subversiv, seine Linienführung als schlampig galt?
Die Nolde-Stiftung Seebüll im ehemaligen Wohnhaus des Künstlers zeigt gerade eine Nolde-Jahresschau. Nach vielen Jahren der Verdrängung geht man heute kritisch mit der ambivalenten Vergangenheit des Malers um. Die Wende kam 2013, als Kirsten Jüngling in einer Biografie seine politische Haltung umfangreich thematisierte und belegte. Im gleichen Jahr bekam die Stiftung mit Christian Ring einen neuen Direktor, der die Vergangenheit Noldes aktiv aufarbeitet, unter anderem 2017 in einem Symposium zu Noldes Doppelrolle im Dritten Reich.
Die Lübecker Ausstellung verschweigt die Ambivalenz nicht, sie geht allerdings eher verschämt damit um. Auf den Texttafeln kommt die Deutschtümelei zwar zweimal kurz zur Sprache, der Kontext aber bleibt vage. Lassen sich Kunst und Ideologie derart getrennt betrachten? Anders gefragt: Würden wir Emil Nolde heute noch kennen, wenn die Nationalsozialisten ihn nicht 1937 diffamiert hätten? Für Bastek stellt sich die Frage so nicht. „Heute“, sagt er, „begeistert uns etwas in seinen Werken, was früher verfemt war. Das hängt miteinander zusammen.“
„Emil Nolde – Farbenzauber. Eine Retrospektive auf Papier“: bis 7. 10., Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck;
„Emil Nolde – Wander Jahre. Die Entdeckung der Farbe“: bis 30. 11., Nolde-Stiftung Seebüll, Neukirchen
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