Hört uns zu!

Zu Mesut Özil hat jeder und jede eine Meinung. Doch während weiterhin weiße deutsche Männer die Debatte dominieren, melden sich auch Menschen aus der migrantischen Community zu Wort. Mit sehr unterschiedlichen Positionen

Begleitung für immer: Özil-Fans beim Spiel Arsenal gegen Atletico Madrid am Donnerstag in Singapur Foto: dpa

Hoffentlich gibt es ein krönendes Abschiedsspiel

Gül Keskinler kann beim DFB keinen Rassismus erkennen. Aber sie beklagt Respektlosigkeit

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Die frühere Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußballbundes (2006 bis 2016) leitet heute in Köln die Agentur Ekip für Interkulturelle Kompetenz.

Ich bin mir sicher, dass Herr Grindel und die anderen Verantwortungsträger im DFB keine Rassisten sind. Sie mögen vieles durch eine deutsche Brille sehen und nicht immer die nötige Sensibilität aufbringen und auch mal Empathie vermissen lassen, aber rassistisch, wie Mesut Özil es ihnen vorwirft, sind sie nicht.

Was Mesut aber zu Recht beklagt, sind Alltagsdiskriminierung und Respektlosigkeit. Die gab es schon immer, und sie wachsen leider. Alltagsrassismus und Islamfeindlichkeit sind durch einen gesellschaftlichen Rechtsruck verstärkt worden, wir haben eine Partei namens AfD in beinahe allen Parlamenten. Insoweit kann ich Mesut verstehen.

Vor etwa zehn Jahren hatte ich mich sehr dafür eingesetzt, dass junge Nationalspieler auch in interkultureller Kompetenz ausgebildet werden. Viele kommen aus Milieus, in denen solche Werte nicht vermittelt werden. Dass er sich nicht genügend dafür eingesetzt hat, kann man dem DFB tatsächlich vorwerfen.

Im Fußballmilieu liegt da tatsächlich vieles im Argen. Auch im VIP-Bereich in Stadien habe ich öfter hören müssen, dass Spieler wie Mesut Özil oder Serdar Taşçı als „Dönertüte“ beschimpft wurden. Und auch ich, als DFB-Mitarbeiterin erkennbar, aber eine mit „komischem Namen“, wurde von Fans schräg angeschaut.

Das ist schlimm, denn die Nationalmannschaft ist tatsächlich für viele Bereiche in Deutschland ein Vorbild, auch für große Firmen und Verbände. Nach der WM 2014 sah es so aus, dass wir die Diversität in diesem Land akzeptieren. Doch heute, 2018, müssen wir nach vorne schauen. Ich hoffe, dass der DFB Mesut zu einer Aussprache einladen wird und er ein krönendes Abschlussspiel bekommt. Es wäre ein sehr wichtiges Zeichen für den sozialen Frieden. Junge Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass Sie nur dann als ein Teil dieser Gesellschaft akzeptiert werden, wenn sie besonders gute Leistungen erbringen.

Erdoğan nutzt den Rassismusvorwurf sehr geschickt

Der Schriftsteller Imran Ayata begründet, warum Mesut Özil recht hat – und auch nicht

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Der Autor veröffentlichte 2016 den Fußballroman „Ruhm und Ruin“ (Verbrecher Verlag). Er leitet in Berlin das „Ballhaus West“, eine „Agentur für Kampagnen“.

Mesut Özil hat recht und unrecht zugleich. Er wirft dem DFB und Medien, womit er vor allem die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Julian Reichelt meint, Rassismus vor. Dass in den letzten Wochen rassistische Ressentiments bedient wurden, steht für mich außer Frage. Von Basler über Bierhoff und Grindel bis Heiko Maas klang immer Ressentiment durch, immer andeutend: So ganz gehört einer wie Özil doch nicht dazu.

Zugleich fällt mir auf, wie Teile der Migrantencommunity antiislamischen Rassismus einsetzen, um eigene politische Anliegen zu thematisieren und von eigenen Praktiken der Ausgrenzung abzulenken. Ein Role Model dafür ist Recep Tayyip Erdoğan. Niemand benutzt so geschickt den Vorwurf des Rassismus wie er. Wenn Özil es mit dem Rassismusvorwurf ernst meint, dann hätte er sein Erdoğan-Foto bedauern müssen. Denn es hat neben der AKP vor allem den Rechten in Deutschland in die Hände gespielt, allen, die gegen Vielheit sind. Seine Kritik an Grindel scheint mir nachvollziehbar, weil der als CDU-Politiker nicht wirklich Befürworter einer Einwanderungsgesellschaft war, im Gegenteil. Aber es hatte ja Gründe, dass Özil selbst jahrelang DFB-Testimonial für Antirassismus war. Tatsächlich hat der DFB, gerade unter Theo Zwanziger, sehr viel Gutes auf den Weg gebracht.

Vielleicht lässt Özil all das jetzt hinter sich. Peinlich finde ich die Kritik, dass er sich auf Englisch geäußert hat. Ich empfand das als einen klugen Move, an den Optionen „deutsch“ und „türkisch“ vorbeizudribbeln. Aber auf ­Englisch sendet er die konsequente Botschaft: Mesut Özil ist eine globale Marke. Brutal, dass Erdoğan die Marke für sich kapitalisiert, während Deutschland diese Chance wegen ­ewiggestriger Männer, die auf Namen wie Reichelt, Grindel oder Matthäus hören, verpasst hat.

Ich hätte auch ein Foto mit Erdoğan gemacht

Oktay Urkal hat den Doppelpass und holte für Deutschland große Titel. Nun ist er vor allem traurig

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Der Boxer gewann 1996 in Atlanta olympisches Silber für den Deutschen Boxsport-Verband und wurde danach als Profi mehrmals Europameister.

Eigentlich bin ich ja Fan der deutschen Nationalmannschaft, aber nach dem, was jetzt passiert ist mit Mesut Özil, bin ich einfach nur noch traurig. Ich finde es nicht gut, dass man ihn zum Sündenbock stempelt. Deutschland hat verloren, und Özil soll es ausbaden. Das Foto mit Erdoğan kam dem DFB doch wie gerufen, damit er Özil alles in die Schuhe schieben kann.

Das ist schade, denn ich mag Mesut Özil. Er ist ein Vorbild für Leute wie mich, die hier leben. Alle wollten doch schaffen, was Özil geschafft hat: in die deutsche Nationalmannschaft reinkommen. Ich meine, wir leben hier, machen unser Ding. Und so ein Foto mit Erdoğan hätten doch viele von uns gemacht. Ich auch. Wem wird schon mal so eine Ehre zuteil? Ein Foto mit dem Staatspräsidenten, das kann nicht jeder! Das hätte viele stolz gemacht, vor allem die Eltern.

Dass man Mesut Özil von heute auf morgen so niedermacht, kann ich nicht verstehen. Ihm ist vielleicht nicht klar gewesen, was er da auslöst. Man hat ihn nicht ausreichend gewarnt, das kann schon sein. Aber viele von uns sagen eben auch: Das ist unser Präsident, wir lieben ihn. Wenn in der Türkei Journalisten im Gefängnis landen, dann wird es schon irgendeinen Grund dafür geben. Özils Eltern waren bestimmt unheimlich stolz, dass der Sohn ein Foto mit dem Präsidenten gemacht hat. Nicht, weil er Leute ärgern wollte, sondern einfach so. Özil ist ein Symbol dafür, was man als Migrant erreichen kann. Unsere Eltern sind als Gastarbeiter gekommen. Hier haben wir alles gelernt, auch das Boxen. Trotzdem wollte ich damals für die Türkei antreten, aber die haben mich nicht akzeptiert. Das war okay, ich lebe ja hier, aber ich sage dir auch: Man kann als Türke hundertmal den deutschen Pass haben, man bleibt immer Ausländer. Man sieht ja, dass ich anders aussehe, südländisch und so. Ob ich gut oder schlecht bin, Ausländer bleibe ich immer.

Deutschland hat schlicht überreagiert

Volkan Ağır erinnert daran, dass sich Mesut Özil schon mit Erdoğan traf, als Deniz Yücel in Haft war

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Der Sportjournalist lebt in Köln und arbeitet für den türkischen Onlinedienst Duvar. Außerdem ist er wöchentlich im Rundfunk auf Açık Radyo zu hören.

Die Reaktionen in Deutschland auf das Foto mit Recep Tayyip Erdoğan kann ich verstehen. Niemand möchte seine Fußballhelden ausgerechnet mit dem sehen, der bei jeder Gelegenheit Deutsche als Nazis bezeichnet. Aber mittlerweile ist die Diskussion ja über dieses Foto hinaus.

Als ich das Bild zum ersten Mal sah, dachte ich nicht an Propaganda für Erdoğan. Seit Jahren bekommt der doch zwei Drittel der deutsch-türkischen Wählerstimmen. Da brauchte es diese Propaganda nicht.

Ilkay Gündogan hat auf das Trikot, das er Erdoğan schenkte, „Mein Präsident“ geschrieben. Das schmerzte viele Deutsche, aber es sind nur übliche Worte, die Türken verwenden, um die Person in höherer Position zu nennen – egal ob es ein Staats- oder ein Klubpräsident ist. Aber da seit drei Jahren in Deutschland ein riesiger Hass auf Erdoğan herrscht, war dies für deutsche Medien Anlass, hiesigen Erdoğan-Wählern die Meinung zu sagen.

Mesut Özil steht seit 2010 in Verbindung zu Erdoğan. Auch 2017 trafen sie sich. Zu diesem Zeitpunkt war ein anderer Deutschtürke, ­Deniz Yücel, ohne Grund inhaftiert. Wo waren die deutschen Werte damals? Warum stand damals niemand gegen Mesut auf?

Deutschland hat natürlich das Recht, auf Özils Erdoğan-Foto zu reagieren, doch es hat überreagiert. Von Anfang an war klar, dass die Diskussion nur erreichen konnte, was Erdoğan erreichen wollte. Denn auch wenn dieses Bild am Anfang keine Propaganda für Erdoğan war, so ist es das jetzt.

Jetzt ruft er aus, Deutsche seien Rassisten, weil ein deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln die Nationalmannschaft verlassen musste. Jetzt unterstützen Erdoğan und seine AKP lautstark Mesut Özil und sagen, dass dies ein Kampf gegen Rassismus ist. Eigentlich hat Deutschland Erdoğan eine Wild Card gegeben, damit er machen kann, was immer er will.