: Lehren aus dem Knast
RESOZIALISIERUNG Zwei Jahre hat das Projekt „Legal Leben“ straffällige Jugendliche unterstützt, Perspektiven aufzubauen – etwa, indem sie ihre Erfahrungen weitergeben. Nun läuft es aus
SEMIH KNEIP, GANGWAY
VON ALKE WIERTH
Wie ein Fels in der Brandung sitzt der junge Mann, den alle hier Erko Abi, großer Bruder Erko, nennen, zwischen all den Teenies, die aufgeregt um ihn herumwuseln. Zehn, zwölf Jungen und ein Mädchen – ganz genau zählen kann man sie bei all der zappeligen Aufgeregtheit nicht – tummeln sich im engen Tonstudio des Kinder- und Jugendtreffs Wasserturm im Bergmannkiez, SchülerInnen einer 8. Klasse der nahe gelegenen Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule. Die Jugendlichen, alle deutsch-türkischer Herkunft, produzieren einen Song. Ihren Song. Hiphop natürlich. Der Stil ihrer Kleidung – Wollmützen, riesige Sweatshirts, tief hängende Hosenböden – passt dazu, ebenso ihr Slang, dessen viele „Yo, man“ das frühpubertär-rauchige Gekrächze mancher Jungs noch besser zur Geltung bringt.
Sie lieben diesen Gangster-Style, diese 13- und 14-jährigen KreuzbergerInnen. Statt ihrer richtigen Namen haben sie sich für ihren ersten eigenen Song Künstlernamen gegeben: Can-Bo für Can Berk oder King-K für Kaan.
Die Kreuzberg-Symphonie
Im fertig produzierten Stück klingen ihre Jungenstimmen dann doch weniger nach Gangstern, sondern eher ein bisschen nach Chorknaben: kindlich und weich. Die selbst verfassten Texte sind allerdings weniger lieblich: Sie handeln vom „Kotti-Scheiß“, von Drogen und Junkies und von Müttern, die davor Angst haben. „Hiphop ist gut, weil man damit die Realität zeigen kann“, sagt Blarnu. Er nennt den Song „Kreuzberg-Symphonie“.
Erko Abi, ein gewaltiger Mann, der zwischen all den Teenies ein bisschen wie Balu zwischen Moglis Wolfsjungen wirkt, lächelt milde. Die Jungs erinnerten ihn an seine eigene Kindheit, sagt er: „Sie mögen das Harte, Gefährliche am Hiphop. Aber sie sind vom Kopf her gut: Sie wissen, wo die Grenze ist.“
Das unterscheidet sie von ihm: Erko hat das nicht immer so genau gewusst. Ebenso wenig wie Cheik, der ebenfalls daran mitarbeitet, den Song der SchülerInnen aufzunehmen. Beide haben Hafterfahrung. Cheik hat im Gefängnis angefangen mit der Musik, Erko schon vorher: „Als ich so alt war wie die hier“, sagt der heute 21-Jährige. In dem Alter habe er gerade angefangen zu kiffen, erzählt Cheik. Eine „Menge Scheiß“ hätten sie gebaut, sagen die beiden, Cheik saß zwei Jahre wegen Körperverletzung im Knast. Jetzt sitzen sie im Tonstudio des Wasserturms. Die Arbeit mit den SchülerInnen ist Teil des Projekts „Legal Leben“, das Sozialarbeiter von Gangway gemeinsam mit dem Türkischen Bund Berlin durchführen. Gefördert vom Senatsprogramm „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ hilft es seit Mai 2008 jungen Straffälligen vor allem türkischer und arabischer Herkunft dabei, wieder Fuß zu fassen in der Legalität.
„Ich freue mich, dass ich den Kindern hier etwas beibringen, ihnen etwas Positives geben kann“, sagt Cheik. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines kubanischen Vaters hat im Knast den erweiterten Hauptschulabschluss gemacht. Er will Tontechniker werden, „um weiter in solchen Projekten mit Jugendlichen arbeiten zu können“, sagt er. Erko plant eine Ausbildung als sozialpädagogischer Assistent. „Projekte wie dieses hat es zu meiner Schulzeit nicht gegeben“, sagt er. „Vielleicht wäre sonst manches anders gelaufen für mich.“
Junge Straftäter würden im Knast kaum auf das Leben draußen vorbereitet, sagt Semih Kneip von Gangway. „Die Haftzeit verändert sie. Aber nachher haben sie oft keine andere Perspektive, als in den alten Kiez, die alte Gang, das alte Leben zurückzukehren.“ Legal Leben bietet spezielle Berufs- und Zukunftsberatung nicht nur für Exknackis, sondern schon für Freigänger an. Alle Teilnehmer werden entweder in Berufsförderprojekte, an Schulen oder in Ausbildungen vermittelt.
Die Idee zur Projektarbeit mit Schulklassen entstand bei Gangway, „weil viele unserer Projektteilnehmer in der Haft angefangen haben, Musik zu machen“, sagt Kneip. In der Arbeit mit den Schülern erfahren sie nicht nur Anerkennung. Sie werden für ihren Einsatz, ihre Kenntnisse auch bezahlt.
Zeitgleich mit dem Songprojekt im Wasserturm arbeiten andere von Legal Leben mit SchülerInnen in Graffiti- und Breakdancegruppen. Die Ergebnisse sollen im November im Rahmen einer großen Ausstellung präsentiert werden – als Abschlussveranstaltung für Legal Leben, denn das Projekt läuft aus. Die Ausstellung mit dem Titel „Grauzone Leben“ wird auch andere Arbeiten der Exhäftlinge zeigen: Texte, Bilder, Fotos aus dem Knast und Dokumentationen ihrer Arbeit im Projekt.
Die Arbeit mit den SchülerInnen bringt nicht nur Cheik und Erko etwas. Auch die Teenies nehmen mehr mit als ihre erste eigene CD. „Die sind gar nicht so böse wie die Rapper in den Videos“, hat etwa Blarnu gelernt: „Die sind voll nett.“ Ein neuer Klang in seiner Kreuzberg-Symphonie.
■ Die Ausstellung „Grauzone Leben“ wird vom 28. November bis 12. Dezember im Kreuzberger Archiv der Jugendkulturen in der Fidicinstraße 3 zu sehen sein