piwik no script img

Der Meister der Mienen

Peter Lorre wurde immer wieder die Rolle des manischen Schurken angetragen. Eine Werkschau im Zeughauskino zeigt nun sein ganzes Können

Von Andreas Hartmann

Gleich seine allererste Filmrolle prägte den Schauspieler Peter Lorre so sehr, dass er zeit seines Lebens nicht mehr von ihr loskam. Er spielte später in zig Komödien, in Kinder- und Jugendfilmen mit, verkörperte gleich mehrfach in einer erfolgreichen Reihe Mr. Moto, einen japanischen Detektiv, doch immer und immer wieder wurde ihm die Rolle des manischen Schurken angetragen, den er bereits 1931 in Fritz Langs Film „M“ so überzeugend verkörperte. Er spielte dort den Kindermörder Hans Beckert nicht nur, der hier bald von einer Menschenmeute wie eine Ratte durch Berlin gejagt wird, er war diese von seinen inneren Dämonen zerfressene Gestalt.

Vor allem war er, der im damaligen Ungarn als László Loe­wenstein geboren wurde und der sich vor seiner Karriere beim Film vor allem als Theaterschauspieler in Brecht-Stücken einen Namen machte, einfach ein begnadeter Schauspieler. Er war nicht besonders groß und hatte glubschige Mesut-Özil-Augen, konnte aber scheinbar mühelos mit kleinen Veränderungen des Gesichtsausdrucks die ganze Palette menschlicher Gefühlsregungen darstellen.

Als Hitler an die Macht kam, verließ der Sohn jüdischer Eltern Deutschland. Er drehte mit Alfred Hitchcock seinen ersten englischsprachigen Film in England, „Der Mann, der zu viel wusste“, bevor er nach Hollywood übersiedelte. Seinen deutsch-österreichischen Akzent sollte er zeit seines Lebens nicht mehr völlig ablegen, er wurde sogar zu einer Art Markenzeichen. Spielte er mal wieder einen Erzbösewicht oder manischen Größenwahnsinnigen, half es in den Vierzigern und Fünfzigern ganz besonders, wenn der sich auch noch anhörte wie ein Deutscher.

In über 80 Filmen spielte er mit, darunter filmhistorische Schwergewichte wie „Casablanca“ und „Der Malteser Falke“, beides Mal in tragenden Nebenrollen an der Seite von Humphrey Bogart, mit dem er auch privat befreundet war. Aber dann war er eben auch zu sehen in B-Movies mit Titeln wie „The Beast with Five Fingers“ oder übernahm kurz vor seinem Tod 1964 die Nebenrolle in dem Teenie-Film „Muscle Beach Party“.

Die Retrospektive „Das Gesicht hinter der Maske“, die gerade im Zeughauskino läuft, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das weitverzweigte und vielschichtige Werk des Peter Lorre einmal genauer zu betrachten. Beinahe die Hälfte der Filme, in denen er zu sehen war, wird hier gezeigt. Darunter auch seine einzige und ziemlich erstaunliche Regiearbeit mit dem Titel „Der Verlorene“, die 1951 in Deutschland entstanden ist. Der Film ist eine Aufarbeitung der Nazizeit, entstanden im beginnenden Wirtschaftswunder-Deutschland, das sich gerade lieber mit Heimatfilmen betäubte als sich von einem in die USA emigrierten Juden den Spiegel vorhalten zu lassen. Der Film floppte dementsprechend, gilt heute aber als einer der interessantesten deutschen Filme aus dieser Zeit.

Peter Lorre hatte zig Höhen und Tiefen in seiner Karriere. Nach dem Krieg setzte Hollywood lieber auf Unterhaltung, auf Western und Komödien, und hatte für jemanden wie Lorre, der auf die Rolle des mysteriösen Psychos festgelegt zu sein schien, kaum Verwendung. Lorre versuchte es mit seiner eigenen, unabhängigen Filmgesellschaft, was krachend scheiterte.

Und er kämpfte mit seiner Morphiumsucht, von der er einfach nicht loskommen sollte. Irgendwann wehrte er sich einfach nicht mehr gegen das Type-Casting Hollywoods und spielte in B-Movies und mittelmäßigen Gruselfilmen den verrückten Maniac wie am Fließband. Oft auch neben Boris Karloff, Bela Lugosi oder Vincent Price, drei weiteren berühmten Mad Men des damaligen Hollywood.

In echten Paraderollen lässt sich Lorre in „Crime and Punishment“ aus dem Jahr 1935 und in „Island of Doomed Men“ von 1940 erleben, die im Rahmen der Lorre-Retro diese Woche im Zeughauskino zu sehen sind. In Josef von Sternbergs Verfilmung des Romans von Fjodor Dostojewski spielt er Rodion Raskolnikow, der versucht, einen begangenen Mord intellektuell zu rechtfertigen, bald aber an inneren und äußeren Vorstellungen von Recht und Moral zerbricht. Allein für Lorres Darstellung eines Getriebenen, der denkt, er sei Napoleon, bis ihm klar wird, dass er wohl doch bloß ein Mörder ist, lohnt sich der Film. Eher vergessen könnte man sicherlich „Island of Doomed Men“, wenn hier der sadistische Herr einer Insel, der ehemalige Gefängnisinsassen als Arbeitssklaven verheizt, nicht von Lorre dargestellt werden würde.

Der Mann ist böse, schlecht und hinterhältig. Doch Lorre schafft es in diesem B-Movie, der sich sonst nicht groß darum bemüht, die Motivation dieses Inseldiktators zu erklären, seiner Figur so viel Tragik einzuhauchen, dass man mit ihr am Ende beinahe Mitleid hat.

Das Gesicht hinter der Maske. Retrospektive Peter Lorre: Zeughauskino, bis 3. 9.; 2. 8., 20 Uhr: „Island of Doomed Men“; 4. 8., 20 Uhr: „Crime And Punishment“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen