: Gefühle, adieu
LEERE Ausgerechnet mit einer Mireille-Mathieu-Imitatorin lässt sich der lethargische Protagonist ein: „Was uns nicht gehört“ von Martin Gülich
Ein klassisches Erzählmotiv: Ein Mann lebt ein geordnetes und unaufgeregtes Leben, aber plötzlich ändern sich die Umstände und alles gerät aus den Bahnen. Meistens handelt es sich dabei um die Liebe zu einer Frau, die alles, was ihm sicher schien, zur Zersetzung bringt.
Der Freiburger Autor Martin Gülich wählte für seinen sechsten Roman „Was uns nicht gehört“ dieses gängige Narrativ. Sein Protagonist Paul Epkes, Buchhalter in einer Kartonfabrik, wohnhaft in irgendeiner mittelgroßen deutschen Stadt, wird aber zunächst von seiner Freundin Sonja verlassen. Dann verliert er seinen Arbeitsplatz. Und erst nachdem er ein paar Wochen sein letztes Geld beim Frühstück im Café Hornstein aus den Händen fließen lässt, begegnet er einer anderen Frau: Maria Mercier. Sie ist Sängerin. Gemeinsam mit ihrer groupe plastique, einem tragbaren Verstärker, tritt sie in drittklassigen Spielstätten als Imitatorin der berühmten Chanson- und Schlagersängerin Mireille Mathieu auf.
Wie auch in TV-Spielfilmen bedient sich der Autor in „Was uns nicht gehört“ einer linearen Erzählung. Dafür mischen sich zwischen Anfang und Ende der Geschichte eine unerkannte Musikalität des demenzkranken Vaters, Songitel wie „Akropolis, adieu“ und die schwarze Perücke der B-Sängerin Maria Mercier.
„Was uns nicht gehört“ ist keine Liebesgeschichte. Romantik gibt es nicht. Paul und Maria teilen lediglich eine unsentimentale Einsamkeit. Sie küssen sich und sie haben auch Sex, weil beides ein logischer Schluss aus der Summe gemeinsam verbrachter Momente ist. Doch im Vergleich zu Pauls Exfreundin Sonja, zu der er noch immer eine lockere Sexbeziehung pflegt, ist Maria nicht berechenbar. Ihre Handlungen sind undurchsichtig, spontan und auffordernd. Und Paul Epkes folgt ihren Weisungen, aus Neugierde und aus einer inneren Leere heraus.
Das beginnt mit einer Zigarette, die er annimmt, ohne Raucher zu sein, und mündet in eine halbkriminelle Tour durch Westdeutschland in Marias Wohnmobil. Durch die Augen eines lethargischen Paul Epkes wirft der Erzähler Martin Gülich einen klaren und zerlegenden Blick auf das Leben des Protagonisten und das der anderen.
Dabei wird „Was uns nicht gehört“ schließlich von einer vermeintlichen Romanze zu einem Gesellschaftsporträt. Mit seiner treffenden und unaufgeregten Sprache stellt Martin Gülich jede Figur als Teil eines funktionalen Systems dar. Darin handeln und fühlen Menschen, weil sie so handeln und fühlen müssen. Wenn Paul Epkes’ ehemaliger Kollege mit Tränen den Selbstmord des Kartonfabrikanten bedauert und sich Sonja von ihrem neuen Lover im Jaguar herumkutschieren lässt, dann ist in den Augen des Protagonisten alles berechenbar, schmerzlos und schal.
Und genauso schmucklos sind auch die Orte, die durch die Erzählung dringen: ein Möbelhaus, ein Sportverein und das immer wiederkehrende Motiv des Altersheims, in dem Maria wohl am erfolgreichsten ihre Rolle als Chansonnière vertritt. Doch gerade das Altersheim wird schließlich zu einem Ort, an dem Paul Epkes sich nicht mehr mit logischen Erklärungen zufriedengeben will. SOPHIE JUNG
■ Martin Gülich: „Was uns nicht gehört“. Nagel & Kimche, Zürich 2012, 176 Seiten, 17,90 Euro