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Die Freiheit im Kopf

Der Berliner 400-Meter-Läufer Marc Koch gehört zu den Hoffnungsträgern seiner Disziplin – auch wenn eine Blinddarm-OP den Traum von der Teilnahme an der Europameisterschaft nun platzen ließ

Der Berliner 400-Meter-Läufer Marc Koch beim Training Foto: Wolfgang Borrs

Von Alina Schwermer

Eine Halle mit roter Tartanbahn, in ungewöhnlich gutem Zustand für eine Berliner Sporthalle. Läufer traben wortlos das Oval entlang oder spazieren in diesem schlenkernd-breitbeinigen Sportlergang, der draußen staksig wirkt und hier athletisch. Die Stimmung ist arbeitsam-seriös; wer an einem Dienstagvormittag in der Rudolf-Harbig-Halle Gewichte hinter sich herzerrt, ist nicht zum Spaß hier. „Natürlich ist Sport heute etwas anderes als früher“, sagt Marc Koch, auf einem Stuhl am Rand, der Blick unbestimmt auf die Tartanbahn gerichtet, der Ton plaudernd. Früher war Leichtathletik ein Hobby. Jetzt ist der 400-Meter-Läufer Deutscher Hallenmeister 2017 und einer, der vom Traum Olympia 2020 redet. Aber 400-Meter-Lauf ist ein flüchtiges Metier: Ein paar Millisekunden zu langsam, und Träume platzen. Ein paar Verletzungen zu viel, und alles ist vorbei.

Wie der Traum von der Teilnahme an der Leichtathlethik-Europameisterschaft in Berlin. „Leider hat es nicht geklappt“, bedauert Koch. Nach einer unerwarteten Blinddarm-OP vor sechs Wochen sei die Zeit „einfach zu kurz“ gewesen, um wieder in Topform zukommen. „Das war schon sehr bitter, und blöder hätte es letztendlich nicht laufen können.“ Denn im Mai war er mit denen, die jetzt für die EM nominiert sind, noch im Trainingslager „und war auf einem Niveau. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich eine Form hatte, die ich bisher noch nicht in meiner Karrie­re hatte.“

Marc Koch, 24 Jahre alt, hat viele Verletzungen gehabt. Auf die letzte Hallensaison verzichtete er fast komplett, wegen Muskelproblemen. Unter den Verbissenen in der Rudolf-Harbig-Halle erzählt Koch trotzdem oder deswegen mit einer unüblichen Lockerheit. Ein Sportler, der mindestens genauso in der Welt da draußen lebt wie hier drinnen, was vielleicht auch gesünder ist. Als Leichtathlet ist er ein Promi mit einem Null-Image: Um in diesem Metier und mit brav-bürgerlich deutscher Herkunft ein öffentliches Image zu haben, muss man schon wie Diskuswerfer Christoph Harting bei Olympia zur Natio­nalhymne herumhampeln. Aber man kann davon ausgehen, dass ein Profifußballer Marc Koch ein gefragter Gesprächspartner wäre: Er hat die gewisse Thomas-Müller-hafte Direktheit, mit Blick über den Tellerrand und Lust am Widerspruch.

Die Sportwelt setzt sich in letzter Zeit notgedrungen vermehrt mit dem auseinander, was sie in den Köpfen ihrer Protagonisten anrichtet. Koch las das Interview, dass der Fußballer Per Mertesacker Anfang des Jahres über „unmenschlichen Druck“ im Profigeschäft gab, und bewunderte die Ehrlichkeit. Über seine eigene Sportart sagt er: „Man kann noch so viel draufhaben, aber wenn der Kopf nicht stimmt, läuft man nicht schnell.“

Die Leichtathletik-EM und Berlin

Der Athlet Marc Koch wurde 1994 in Berlin geboren und begann seine Laufbahn bei den Reinickendorfer Füchsen. Er trainierte zuerst Mehrkampf und spezialisierte sich später auf den 400-Meter-Lauf. Derzeit trainiert er bei der LG Nord. Sein größter Erfolg ist der deutsche Hallenmeistertitel über 400 Meter, den er 2017 mit persönlicher Bestzeit erreichte.

Die Leichtathletik-EM findet vom 7. bis zum 12. August in Berlin statt. 1.500 Athleten aus über 50 Nationen messen sich im Olympiastadion in verschiedensten Disziplinen wie Hammerwurf, Hochsprung oder Sprint. Insgesamt 47 Disziplinen sind vertreten. Tickets gibt es ab 15 Euro für eine Qualifikations-Session und ab 25 Euro für eine Final-Session. Mehr Infos unter www.berlin2018.info. (asc)

Anfangs flog ihm vieles zu. Der Berliner kommt über einen Grundschulfreund zu den Reinickendorfer Füchsen und ist schnell ein begabter Leichtathlet. Sein Talent trifft auf das, was die hohen Herren beim DOSB „ideale Bedingungen“ nennen würden: einen gut vernetzten Trainer, der ihn fördert; ein Elternhaus, das zu Wettkämpfen begleitet und großzügig Trainingslager finanziert. Schon in der Jugend aber leidet Koch häufig unter Verletzungen. Im Mehrkampf habe er „mehr Probleme als sonst was“ gehabt. Im 400-Meter-Lauf findet er schließlich seine Disziplin, wird im Glanzjahr 2013 Deutscher Jugendmeister in der Halle, draußen und mit der Staffel. Und in der Männerklasse fällt er dann in ein Leistungsloch.

„Ich bin erst im letzten Jahr richtig in der Männerklasse angekommen“, schildert Koch es rückblickend. Sein Körper will nicht so schnell, aber auch nicht der Kopf. Mal traut er es sich nicht zu; mal glaubt er, er habe so gut trainiert, jetzt müsse es doch unbedingt klappen, und verkrampft dabei. „Vielleicht kriegt es der ein oder andere auch schneller hin. Macht eine Riesenleistung und gewinnt direkt eine Medaille bei einer EM. Aber es war bei mir eigentlich nie so, dass ich schnellen Erfolg hatte.“ Die richtige Balance zwischen Lockerheit und Biss zu finden wird zum Leitmotiv. „Ich glaube, ich habe jetzt gelernt, damit umzugehen, dass der Sport unglaublich schnelllebig ist.“

Aber kann man das jemals lernen? Die Außenwelt wird Ausweichort und Ausgleich. Koch verbringt mehrere Monate in England, und bewundert dort die „Alles ist möglich“-Mentalität; sie habe ihm geholfen, mehr auf seine Fähigkeiten zu vertrauen. Er führt kein branchenübliches Dasein als Sportsoldat, sondern studiert BWL. Allzu viel Kritik an stromlinienförmigen Top-Profis will er aber nicht üben. „Man sagt denen: Du musst das doch gar nicht. Du bist Vollprofi. Ich glaube nicht, dass Hertha BSC sagen würde: Ach, du studierst? Dann nehmen wir jetzt mal ein bisschen Rücksicht auf deine Klausuren.“ Es wird sein Vorteil, als Athlet mit einem Null-Image zu leben. Doch bei aller Weltläufigkeit und Entspanntheit hängt Koch natürlich, wie viele Athleten, am Traum Olympia.

Als kleiner Junge, erzählt er, habe er mal mit seiner Mutter und deren Freundin Tarot-Karten gelegt und gefragt, ob er es zu den Spielen schaffen könne. „Und die Tarot-Karten haben gesagt: Ja, Marc, du kannst es schaffen.“ Er erzählt das mit ein bisschen ironischer Überhöhung, wie einen dieser Mythen, die man über Usain Bolt oder Die­go Maradona raunt. So ganz ernst nimmt er es nicht. Wie schafft man es, den Ehrgeiz für Olympia mit solcher Laissez-faire-Attitüde zu verbinden? Marc Koch feilt daran und fühlt sich auf gutem Weg. Bei einer verpassten Chance kommt irgendwann die nächste.

Als Profifußballerwäre Marc Kochsicher ein gefragter Gesprächspartner

Koch ist einer der jungen Hoffnungsträger in einer Disziplin, die sich weit von der Weltspitze entfernt hat. In Berlin bei der Europameisterschaft sollen Fortschritte sichtbar werden. Koch hat an die 30 Karten für Familie und Freunde besorgt.

Klar sei er enttäuscht, dass er die Wettkämpfe jetzt selbst nur von der Zuschauertribüne aus begleiten werde, sagt Koch: „Aber ich werde diesmal eben die Kollegen im Stadion anfeuern und greife dann nächstes Jahr selbst wieder an.“ Die WM und Olympia kämen ja bald.

Die Tarot-Karten hat er dazu aber lieber nicht noch einmal befragt.

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