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Archiv-Artikel

Kunstvolles Laster

In Neuss werden Fluppen zu Kunstobjekten erklärt: Das Museum zeigt die Geschichte der Zigarette vom revolutionären Beginn bis heute

AUS NEUSS LUTZ DEBUS

Meterhohe Pflanzen wachsen wie auf einem Feld in geraden Reihen. Die Wurzeln aber stecken in Blumentöpfen. Eine kleine Plantage im zweiten Stockwerk. Nichts illegales geschieht hier. In einem Kunstmuseum gedeiht Virginischer Tabak. Um die Pflanzen herum sind Vitrinen gefüllt mit Pfeifen.

Hier ist eine Kunst-, aber auch lehrreiche Ausstellung über das Rauchen entstanden. Ein paar weniger beeindruckende Ölgemälde, Zeichnungen und Radierungen, die Raucher bei der Verrichtung ihres Lasters zeigen, sind zu sehen. Dann aber filigrane, mystisch anmutende Pfeifen aus Asien, Afrika und Amerika. Wolfgang Cremer, ein Nestor der deutschsprachigen Pfeifenwissenschaft, hat mit seiner Sammlung diese Ausstellung erst möglich gemacht. Chinesische Opiumpfeifen aus Elfenbein und Silber, Terrakottapfeifen aus dem Kamerun, auch eine präkolumbianische Nasenpfeife aus Costa Rica mit natürlich zwei Hälsen hat er beigesteuert.

Die Worte „anthrozoomorphe Pfeife“ gehen Wolfgang Crämer leicht von den Lippen. Damit meint er den schmiedeeisernen Kopf einer afrikanischen Pfeife, der sowohl einen deutschen Kolonialsoldaten wie auch einen Elefanten darstellt. Huldigung oder Karikatur? Der Pfeifenforscher kann keine endgültige Antwort geben. Mit Hingabe beschreibt er die Kunst, Opium zu rauchen.

Zu sehen ist auch die interessante und wechselvolle Kulturgeschichte des Rauchens. Zunächst war Tabak Medizin. Und zwar gegen alle Krankheiten. Klaffende Wunden wurden mit Tabakblättern verbunden. Auch sollte Nikotin vor Schnupfen, Husten, Pest und Krebs bewahren. Ein Exponat des Museums ist das Tabakrauchklistir in Form eines Blasebalgs. Ertrunkene wurden so wieder zum Leben erweckt. Diese rektal angewandte Therapie endete allerdings im 17. Jahrhundert am französischen Königshof auch schon mal tödlich.

Erst später wurde Tabak, oral verabreicht, als Genussmittel entdeckt. Über Holland gelangte der blaue Dunst der Pfeifen zum Niederrhein. Mit ihm die Pflanzen und Fabriken – ein Teil der Ausstellung widmet sich der Regionalgeschichte der Tabakindustrie.

In Deutschland galt die Zigarre vor 1848 als Zeichen revolutionärer Gesinnung. Dann erst wurde sie großbürgerlich. Auch Frauen rauchten Pfeife und Zigarre und lösten damit den Kampf der Geschlechter aus. Die Obrigkeit hatte schon immer eine ambivalente Beziehung zum Tabak. Das Gesundheitsrisiko für die Untertanen wurde mit den Steuereinnahmen verrechnet. Bis heute.

Auch eine politische Dimension hat diese Ausstellung. Bis zu zweieinhalb Millionen Menschen sterben pro Jahr laut Worldwatch-Institut weltweit an den Folgen des Rauchens. Dagegen stehen 14 Milliarden Euro, die der Staat allein in Deutschland an Tabaksteuer einnimmt. Unappetitlich wirkt da die Silhouette eines Menschen zum Ende des Rundgangs. An vielen Körperteilen sind an dem rauchenden Pappkameraden Nahaufnahmen von typischen Erkrankungen von Rauchern angeheftet. Offene Beine, zerfressene Bronchien, tumorgefüllte Lungenflügel. Aktenordner geben Auskunft über hunderte von Giftstoffen, die in den verschiedenen Zigarettenmarken enthalten sind.

Früher war die Herstellung einer Zigarre eine Kunst. Eine moderne Maschine spukt heutzutage 130 völlig identische Zigaretten in der Sekunde aus. Geraucht wird beim Fernsehen, vor dem Computer, beim Telefonieren. Die Zeiten, in denen Rauchen ein Kulturgut war, scheinen vorbei zu sein.

Bis 6. November Infos: 02131- 904141