: Selbst ist der Hippie
Nicht nur der Running Gag aus „Halbe Treppe“: Heute feiern die 17 Hippies ihr Zehnjähriges. Ein Porträt des wild Stile mixenden Bandkollektivs, in dem niemand das Instrument spielt, das er kann
VON THOMAS WINKLER
Seltsame Band, das. Nennen sich 17 Hippies, haben aber bis heute keine feste Mitgliederzahl, ja wissen nicht einmal mehr ganz genau, wie sie zu dem, nach Eigeneinschätzung, „Scheißnamen“ gekommen sind. Von Anfang an wurde die dauernd wechselnde Musikerbesetzung angehalten, Instrumente zu spielen, die sie gar nicht konnte. Es gab Auftritte, bei denen standen mehr Menschen auf der Bühne als davor. Das erste Album hieß „Rock ’n‘ Roll 13“, war aber gar kein Rock ’n’ Roll drauf. In „Halbe Treppe“ klimperten die Hippies nur im Hintergrund und wurden doch zu den wahren Stars des Films. Heute füllt man größere Hallen problemlos.
Das Allerseltsamste aber ist, dass die 17 Hippies, so chaotisch organisiert man in den Anfangsjahren war, so dezidiert man noch heute gegen Marktgesetze anzustrampeln scheint, dass diese Band, die eigentlich ja gar keine Band ist, dieser Tage tatsächlich zehn Jahre alt wird.
Eigentlich wollte man in den Gründungstagen nur seinen Spaß, erzählt Christopher Blenkinsop, der mit Ukelele und Bouzouki von Anfang an dabei war, wollte den ständigen Kneipenabenden mit den Kumpels einen anspruchsvolleren Sinnzusammenhang geben. Zu dritt hatte man begonnen, aber der musikalische Stammtisch um Blenkinsop, der damals bei den lokal bekannten Sidewalk Poets spielte, wuchs beständig weiter. Eine Vision gab es nie, nur eine Idee. Der Rest kam wie von selbst.
Jeder kannte jemanden, der wieder jemanden kannte, der auch noch ein Instrument oder vielleicht auch nur eine Säge zu Hause hatte und mal mitspielen wollte. So kamen sie einmal wöchentlich zusammen: Berufs- und Hobbymusiker aus Jazz, Rock und Klassik, und jeder sollte ein Instrument spielen, das er sonst nicht spielte. Jeder brachte den anderen die drei Standards bei, die er konnte, und irgendwann fand man tatsächlich eine gemeinsame, sehr eigene Sprache: ein Extrakt aus polnischen Songbooks und Fachzeitschriften für Sackpfeifen, aus Versatzstücken von Klezmer und Polka, Ländler und Country, französischer, arabischer und mazedonischer Folklore und aus dem kruden Zeugs, das der Banjo-Spieler aus dem letzten Urlaub mitgebracht hatte.
Man stellte sich schnell auf Bühnen, mal zu fünft, mal zu siebenundzwanzigst. Man trat auf in Altenheimen, Kindergärten und an Straßenecken, denn – und das war die Ursprungsidee – man konnte, da nicht angewiesen auf elektrische Verstärkung, überall und jederzeit spielen. Je mehr Musiker zusammenkamen, desto lauter wurde es, desto spaßiger wurde es und desto unsinniger wurde es – vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet: Bis heute haben die 17 Hippies niemals ein Angebot einer deutschen Plattenfirma bekommen. Aber mit dem Musikgeschäft wollte man eh nur das Allernötigste zu tun haben. Also wurden CD-Verpackungen per Hand zusammengesteckt, T-Shirts bedruckt, Konzertreisen organisiert, wurde die eigene Plattenfirma gegründet, der Tour-Bus gelenkt, das Büro selbst renoviert und so ziemlich jeder Fehler gemacht, den man machen kann.
Weil man aber aus Fehlern am besten lernt, sind die Hippies zehn Jahre und mehr als 1.000 Konzerte später zwar „nicht mehr wahnsinnig demokratisch“, so Blenkinsop, aber „haben es geschafft, die Brüche auszuhalten“. Sie funktionieren immer noch entgegen allen Gesetzen des Musikgeschäfts. Die Band ernährt einige ihrer Mitglieder, die sich neben dem Musikmachen um die Verwaltung bemühen und dafür seit zehn Jahren nicht mehr in Urlaub gefahren sind. Den anderen bringt sie immerhin eine Aufbesserung der Bezüge ein, die sie in bürgerlichen Berufen erwerben. Mittlerweile leisten sich die Hippies sogar einen kombinierten Büro-Studio-Übungsraum-Hangout in der Kulturbrauerei.
Man hat sich hierzulande einen legendären Ruf als Liveband erspielt, ist aufgetreten in Taiwan, Russland, Australien und als einzige deutsche Band in der Normandie bei den französischen Feierlichkeiten zum 60-jährigen Kriegsende. Überhaupt Frankreich: Dort haben sich schon Bands der Hippies wegen gegründet, und ein französisches Jugendorchester interpretiert nur ihre Songs.
Die Hippies selbst verfügen über ein ausgeklügeltes System der Entlohnung: Ein kompliziertes Punktesystem, das alle Leistungen der bislang ungefähr 35 Beteiligten von Live-Auftritten über Probenteilnahme oder das Erstellen der Steuererklärung bis zum Flyer-Falten registriert, sorgt dafür, dass selbst ehemalige Mitstreiter immer noch regelmäßig für ihre Pioniertaten entlohnt werden. Man hat sogar einen Weg gefunden, die Gema-Ausschüttung für erst in den letzten Jahren entstandene eigene Kompositionen – gern Knackpunkt bei Bands – auf alle Beteiligten zu verteilen.
Fast geht es also zu wie auf dem Kinderbauernhof, wie in einem von Sozialpädagogen entworfenen Mikroexperiment, das beweisen soll, dass eine gerechte Gesellschaft möglich ist. Eben „nicht die übliche Maschinerie“, wie Akkordeonistin Kiki Sauer anmerkt, auch wenn es, wie Gitarrist Dirk Trageser relativiert, „früher zwangsläufig lustiger war“. Denn natürlich ist auch die Bandgeschichte der 17 Hippies nicht frei von Auseinandersetzungen: Immer schon standen diejenigen, die sich professionalisieren wollten, gegen die anderen, die sich vom spontanen, etwas naiven Dilettantismus nicht lösen wollten. Es kam zwar nie zu Prügeleien, aber immerhin wurde mal eine Ukulele zertrümmert. „Es ist halt doch keine Familie, bei der man immer bleibt“, sagt Kiki Sauer und verabschiedet sich damit ein bisschen von der Utopie der Hippies.
Ob an einem sonnigen Sonntagmittag im Prater-Biergarten vor jungen Familien und ihren krabbelnden Kindern oder vor Tausenden bei einem der umjubelten Festivalauftritte in Frankreich: Die Musik der Hippies integriert nicht nur unendlich viele musikalische Einflüsse, versöhnt nicht nur vollkommen verschiedene Herangehensweisen ans Musikmachen, sondern transportiert eine Verheißung: Jeder kann dazugehören, jeder kann mindestens mitsingen.
Bei dem Spaß, den diese Musiker offensichtlich immer schon hatten und haben, da will man dabei sein und da darf man dabei sein, und weil es keine Stars gibt, wird die Distanz zwischen Bühne und Publikum winzig klein. Der Star ist die Mannschaft, und wahrscheinlich liegt in dieser integrativen Kraft das Geheimnis ihres Erfolgs versteckt. Ein Erfolg, der im Vergleich zu anderen Erfolgen zwar nicht allzu groß erscheint, angesichts der zu Verfügung stehenden Mittel und der konsequent vollzogenen Do-it-yourself-Politik aber bemerkenswert ist. Denn die Summe aller Hippies ist auch nach zehn Jahren noch organisch und aufregend und, ja doch, irgendwie auch seltsam.
17 Hippies live: heute, 20 Uhr, Open Air in der Kulturbrauerei, Releaseparty für die DVD „17 Hippies – The Greatest Show On Earth“; Ende Oktober neue CD „17 Hippies Play Guitar“ im Handel