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Präzision bis zur Perfektion

Flussfahrt mit Schriftsteller: Der Franzose Vincent Almendros stellt seinen Roman „Ein Sommer“ in Berlin vor

Almendros schreibt zunächst alles auf, ausufernd, detailliert. Eine erste Skizze von 300 Seiten reduziert er dann auf weniger als 100

Von Elise Graton

Die versammelten Damen sind sich einig: Lesungen des Wagenbach Verlags besuchen sie gerne, aber diesmal sind sie besonders angetan. Denn die Veranstaltung mit dem französischen Schriftsteller Vincent Almendros ereignet sich in Berlin auf einem Boot. Und auf einem solchen, freilich auf dem Mittelmeer, findet auch die Handlung seines Romans „Ein Sommer“ größtenteils statt.

„Ein Sommer“ beginnt mit der Ankunft von Pierre und seiner neuen Freundin Lone am Hafen von Neapel, wo sie von Pierres Bruder Jean und seiner Frau Jeanne empfangen werden. Von dort wollen die Paare gemeinsam die italienische Küste entlang segeln.

Auch wenn es sich im Buch nur um ein winziges Segelboot handelt, so sind sich bei der Lesung viele einig, dass man hier auf dem breiten Restaurantschiff auf einem Berliner Kanal in die passende Stimmung kommt. Die wenigen, die das Buch schon kennen, werfen konspirative Blicke gen Berliner Himmel. Dass sich da gerade dicke schwarze Wolken formieren, passt bestens zu der Geschichte, wie sie wissen.

In Almendros’Erzählung wird aus dem unbeschwerten Ferienausflug schon bald ein bedrohliches Kammerspiel. „Ein Sommer“ liefert tatsächlich keine tiefer dringende Einblicke in die seelischen Abgründe seiner Protagonisten. Umso schonungsloser legt er aber deren allzu menschliche Inkonsequenz frei – teilweise mit Humor, vor allem aber mit einer verblüffenden Präzision, in einem bis zur Perfektion reduzierten Stil, wobei jedes einzelne Wort auf seine Deutungsmöglichkeiten hin ausgewählt worden zu sein scheint.

Tatsächlich stecken enorm viel Überlegungen in den schmalen Romanen des 40-Jährigen. 2011 erschien sein Debüt „Ma chère Lise“, sein drittes Werk „Faire mouche“ wird gerade ins Deutsche übersetzt.

Almendros erzählt in Berlin von seiner Arbeitsweise. Zunächst schreibt er alles auf, ausufernd, detailliert. So umfasste eine erste Skizze von „Ein Sommer“ um die 300 Seiten, die er dann mühevoll auf weniger als 100 reduziert hat. „Bis nur diejenigen Wörter übrigblieben, die tatsächlich der Vielschichtigkeit der Erzählung dienen.“ Jedes herausgestrichene Wort werde dabei zu einem „Phantomglied“, dass das finale Ergebnis mit seinem Sinn weiterhin kontaminiert und eine eigene Wirkung entfaltet.

An dieser Stelle freut man sich bei der Lesung, dass Moderator Cornelius Wüllenkemper auf die tolle Leistung des Übersetzers Till Bardoux aufmerksam macht. „Ein Sommer“ habe er bereits beim ersten Lesen sehr gemocht, meint Bardoux. Dann aber beim Übersetzen schnell bemerkt, wie viel komplizierter und heimtückischer es sei, als es zunächst beim Lesen erschien. „Die vielen Möglichkeiten, auf die ich bei der Übersetzung verzichten musste, sind nun meine Phantomschmerzen geworden“, schließt er in aller Bescheidenheit ab.

Vincent Almendros: „Ein Sommer“. Aus dem Französischen von Till Bardoux. Wagenbach Verlag, Berlin, 96 Seiten, 15 Euro

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