: Wer sich jetzt nicht bewegt, ist tot
Er bricht Regeln, wie nur jemand Regeln brechen kann, der diese im Schlaf beherrscht: Anderson .Paak trommelt und singt in der Columbiahalle, und es wird glückselig getanzt und mitgesungen
Von Jan Jekal
Das Konzert des amerikanischen Soulmusikers Anderson .Paak läuft seit einer Dreiviertelstunde, das Energielevel in der Columbiahalle ist hoch, der Sauerstoffgehalt gering, da setzt sich .Paak hinter sein Schlagzeug, tritt die Bassdrum in Viertelnoten und singt dazu eine Melodie, mit welcher an diesem Abend wohl niemand gerechnet hat: „Hey! Das geht ab!“, singt .Paak auf Deutsch mit amerikanischem Akzent. Wir feiern „die ganze Nacht!“ Und da entwickelt sich im Publikum eine Eigendynamik, und die Zuschauer übernehmen bereitwillig („die ganze… Hey! Das geht ab!“), als hätten sie schon länger darauf gehofft, endlich auf eine Single der Atzen ausrasten zu können.
Wie ist .Paak auf dieses Lied gestoßen? Hat er vor dem Konzert jemanden gefragt, was die Deutschen denn so gut finden, und hat diese Person dann „Also, es gibt da dieses Electro-Duo, die nennen sich Die Atzen …“ gesagt? .Paak jedenfalls betrachtet das Geschehen amüsiert. Das studentische Publikum, das sich bisher zu den geschmackssicheren Funk-Nummern .Paaks so lasziv bewegt hatte, wie sich weiße Leute eben lasziv bewegen können, fährt auf die Bassdrum nun richtig ab und hüpft auf der Stelle. Dann endlich die Erlösung, .Paak rappt das Intro zu einem Original, seinem Slow-Jam „Heart Don’t Stand a Chance“, man ist plötzlich wieder im Land der guten Musik, und das Atzen-Intermezzo wird zur kuriosen Fußnote eines fantastischen Konzertabends.
Anderson .Paak spielt, mit seiner Begleitband The Free Nationals, die mit dem Attribut „tight“ in jeder Hinsicht angemessen beschrieben ist, eine aufregende Hybridform aus verschiedenen afroamerikanischen Stilrichtungen. Er verbindet die Musik seiner Eltern (Spätsechziger-Funk) mit der seiner großen Schwestern (Neunziger-R’-n’-B) und die wieder mit der seiner Teenager-Zeit (Westküsten-Hip-Hop). Er ist ein Rapper, der singen kann, und ein Sänger, der rappen kann. Wahrscheinlich ist die Bezeichnung Soulmusiker am treffendsten, weil seine Kunst letztendlich eine vokale ist; es geht um den Ausdruck in seiner Stimme, um die emotionalen Ausbrüche darin, um das Raunen, das Schreien, die Befreiung.
Er verschleppt den Beat
Allerdings, und um diese These gleich wieder zu widerlegen, ist er auch ein hervorragender Drummer. Während der ersten Lieder sorgte noch der DJ für die Beats. Dann, bei dem ganz neuen Stück „Bubblin’“, einem hyperaktiven „Jetzt habe ich Geld ohne Ende, und ihr könnt mich alle mal“-Triumphzug, setzt er sich das erste Mal hinter das Schlagzeug und kloppt die Drum Machine nieder. Er verschleppt den Beat fast, er spielt auf präzise Weise ungerade, er akzentuiert irrwitzig, er bricht Regeln, wie nur jemand Regeln brechen kann, der diese im Schlaf beherrscht; wie ein in Eile nach Hause stolpernder Betrunkener holpern seine Beats. Es ist, als wurde einem gerade etwas injiziert, das durch die Blutbahn direkt ins Belohnungszentrum schießt.
Man muss sich nun bewegen. Wer sich jetzt nicht bewegt, ist tot. Hat man die ihre Biere haltenden Rumwipper an der Seite erst einmal überwunden, und die mit dokumentarischem Eifer filmenden Hobbychronisten, und ist man endlich im richtigen Radius vor der Bühne angelangt, wird glückselig getanzt und mitgesungen, und über der schwitzenden Menge thront der Anführer, der Antreiber Anderson .Paak, der immer wieder „Yes, Lord!“ ruft, und wir rufen zurück. Ein Gottesdienst.
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