: Das Einfache und das Ehrliche
Geeignet für Yoga und die Achtsamkeitsübung. „Raw Silk Uncut Wood“ heißt das neue Album von Laurel Halo
Von Jens Uthoff
Laurel Halo flirtet gern mit der deutschen Sprache. Man konnte das bei der seit vier Jahren in Berlin lebenden US-Produzentin schon in der Vergangenheit beobachten, als sie ihren Songs Titel wie „Nebenwirkungen“, „Arschkriecher“ oder „Nah“ gab. Und die Sache mit der Nähe scheint Halo bis heute nicht ganz loszulassen, denn das abschließende Stück ihrer bald erscheinenden neuen EP nennt sie „Nahbarkeit“. Mit dem 10-Minuten-Track und dessen flächigen, fluiden Synthie-Sounds lässt sie „Raw Silk Uncut Wood“ – so der Titel ihres Werks – ausklingen.
Die aus Michigan stammende Künstlerin erfindet mit diesen sechs Songs einmal mehr eine neue Laurel Halo. Bislang galt sie als herausragende Produzentin, die alle Stile zwischen Techno, Intelligent Dance Music (IDM) und Disco draufhat und die mit „Quarantine“ (2012) und „Dust“ (2017) zwei der wichtigsten elektronischen Alben der Dekade auf dem Londoner Label Hyperdub veröffentlicht hat. Bei aller Experimentierfreude gab es dabei meist eine Nähe zum Pop. Halo arbeitete viel mit ihrer Stimme, die sie zum Teil durch den Prozessor schickte. In Zuckungen versetzende, schräge, sphärische Clubmusik kam am Ende oft dabei heraus.
Nun verhält es sich etwas anders. Die neue EP, sagt Halo, sei beeinflusst von ihren Arbeiten für einen Film-Soundtrack. Mit dem niederländischen Kunst- und Designkollektiv Metahaven schrieb sie jüngst Stücke für den experimentellen Dokumentarfilm „Possessed“, der im Herbst in die Kinos kommt.
Und tatsächlich, auch „Raw Silk Uncut Wood“ könnte als experimenteller Soundtrack durchgehen. Die Soundscapes, allesamt ohne Gesang, sind geprägt von Ambient, Free Jazz und Echtzeitmusik. Die beiden längsten Stücke, der Titelsong „Raw Silk Uncut Wood“ und das eingangs erwähnte „Nahbarkeit“, haben dabei meditativ-fließenden Charakter – brächte man sie zur nächsten Yogastunde mit, man würde nicht weiter unangenehm auffallen. Die kürzeren Stücke, „Mercury“ und „Quietude“, könnte man dann eher für die Achtsamkeitsübung vorschlagen – sie sind näher am experimentellen Jazz als an der elektronischen Musik.
Mal klingt es, als stochere jemand im Klaviergehäuse, dann glänzt Gastperkussionist Eli Keszler mit rhythmischem Klackern. Im Ganzen dominieren Synthie- und Orgelsounds das Klangbild, in zwei Stücken ist Radiohead-Mitspieler Oliver Coates am Cello zu hören.
Dass sich Laurel Halo hier so spirituell und suchend gibt, hat einen philosophisch-literarischen Hintergrund: Während der Arbeit an den Stücken hat sie sich mit dem Daoismus beschäftigt. Den Daodejing-Weisheiten des Philosophen Laozi – beziehungsweise der englischen Übersetzung dieser Aphorismensammlung – ist auch der EP-Titel entnommen, „Raw silk and uncut wood“ heißt das 19. Kapitel des Grundlagenwerks. „Raw silk“ (wörtlich „rohe Seide“) soll in dieser Philosophie das „Simple, Einfache“ bezeichnen, während „uncut wood“ (wörtlich „unbeschnittenes Holz“) für das „Natürliche, Ehrliche“ steht.
Die musikalische Sinnsuche, die Laurel Halo hier betreibt, erschließt sich dem Hörer sicher nicht so intuitiv wie so manches frühere Werk, bei dem sie mehr mit Beats arbeitete. Aber direkt vergleichbar mit der Club-Laurel-Halo ist diese Laurel Halo hier ohnehin nicht, abwechslungsreich sind diese Stücke bei genauerem Hinhören aber genauso. Und wo die halbe Kunst- und Kulturwelt ohnehin von Immersion und vom Eintauchen spricht, kann man nur empfehlen: Tauchen Sie mal tief in diese gut 32 Minuten Musik ein und ab. Kann sein, dass sie ihnen plötzlich sehr nahbar erscheint.
Laurel Halo: „Raw Silk Unwood Cut“ (Latency Records). Laurel Halo live: 18. Juli, ab 22 Uhr, Ohm, Köpenicker Str. 70
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen