: Armut in „The Big Easy“ kann das Leben kosten
BERLIN taz ■ Wer bei New Orleans an „The Big Easy“ denkt und die Stadt auch schon bereist hat, der hat vor allem das French Quarter im Sinn. Der Partybezirk in der Innenstadt ist der einzige Ort in den Vereinigten Staaten, wo man Bier auf offener Straße trinken darf.
Wer an New Orleans denkt, erinnert sich an Seafood-Restaurants, Blueskneipen, Mardi Gras, ein buntes, tolerantes Völkergemisch, liebevoll restaurierte Häuserfassaden, kurzum, die wohlhabende und attraktive Seite der Stadt.
Diese ist allerdings vergleichsweise klein. Nur einige Straßenblöcke weiter findet man sich bereits in oftmals armen und verwahrlosten Vierteln wieder, in denen vor allem Schwarze wohnen. Diese Gebiete liegen allesamt tiefer und ungeschützter als Downtown. Sie werden bei Überschwemmungen als erste überflutet und stehen derzeit bis zu sechs Meter unter Wasser. Hier erwartet Bürgermeister Clarence Ray Naginauch die meisten Todesopfer.
Von den rund 500.000 Einwohnern New Orleans leben 23,2 Prozent in Armut. Das jährliche Haushaltseinkommen beträgt nur 70 Prozent des Landesdurchschnitts, nämlich 31.000 Dollar. 15 Prozent der Einwohner besitzen kein eigenes Auto. Fliehen – es handelte sich bei „Katrina“ um eine angeordnete, nicht freiwillige Evakuierung – können sie demnach nur zu Fuß oder mit öffentlich bereitgestellten Verkehrsmitteln. Die Stadtverwaltung orderte zwar einen kostenlosen Busservice zur größten Notunterkunft, dem sich später als unzumutbar und überfüllt erweisenden Superdome, zur Verfügung, jedoch keinen Transport hinaus aus der Stadt. Wer arm war, musste bleiben.
Insgesamt traf die Katastrophe nicht nur eine der ärmsten Metropolen, sondern auch eine der rückständigsten Regionen in den USA. Der Bundesstaat Mississippi rangiert jährlich am unteren Ende der nationalen Armutsskala. Plünderungen müssen daher auch in einem anderen Licht gesehen werden. Sicher hat mancher die Gunst der Stunde genutzt, um sich noch einen DVD-Player unter den Nagel zu reißen. Doch viele haben die Lebensmittelregale von Supermärkten schlichtweg aus Not, Hunger und Durst leer geräumt, wie eine Großmutter mit sechs Enkelkindern einem Reporter der New York Times in den Notizblock diktierte. Schließlich hatte die Versorgung der Zurückgebliebenen und Eingeschlossenen durch die Rettungseinheiten versagt.
Auch in Biloxi räumten frustrierte Menschen die Geschäfte aus. Dabei erschien dem früheren Besucher die – nun völlig zerstörte – Glücksspielstadt am Golf von Mexiko aufgeräumt und wohlhabend. Nichts als Fassade. Biloxi erlebte zwar in den 90er-Jahren einen Wirtschaftsboom, nachdem das Betreiben von Kasinos legalisiert worden war, dennoch profitierte die schwarze Bevölkerung nicht angemessen von dem Aufschwung. Die Stadt blieb stark segregiert, die pastellfarbenen Strandapartments wurden eher von Weißen bewohnt. Doch am Ende hat „Katrina“ hier keinen Unterschied gemacht und niemanden verschont. MICHAEL STRECK