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Archiv-Artikel

Ein Paradies für Schimmel und Algen

WÄRMEISOLIERUNG Auf klimafreundlichen, isolierten Hausfassaden fühlen sich Algen und Pilze besonders wohl. Pestizide bieten nur auf kurze Sicht Abhilfe – und belasten das Grundwasser. Bauphysiker empfehlen deswegen saugfähige Oberflächen

Die Bauindustrie empfiehlt Pestizide gegen Pilzbefall. Doch die spült der Regen ins Grundwasser

VON KATHARINA GIPP

Wer heutzutage etwas auf sich hält, wird Energiesparer. Das vermittelt einem nicht nur die Werbung, sondern auch die Politik. Im Gegenzug für das Ende der Atomkraft hat die Bundesregierung beschlossen, dass bis zum Jahr 2050 alle Häuser in Deutschland energieneutral werden sollen. Millionen Hausbesitzer sollen ihre Gebäude wärmedämmen. Tausende sind der Forderung bereits nachgekommen.

Die gebräuchliste Methode ist die Installation eines sogenannten Wärmedämmverbundsystems. Platten aus dem Kunststoff Polystyrol werden von außen an die Hausfassade angeklebt und zusätzlich mit einer Dämmplatte versehen. Bei einwandfreier Anbringung könne der Mieter bis zu 60 Prozent seiner Heizkosten einsparen, heißt es seitens der Bauunternehmen. Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg steht dem Ganzen kritisch gegenüber. Denn eigentlich rechne sich ein Wärmedämmverfahren für den durchschnittlichen Mieter gar nicht. „Der Vermieter darf nach Durchführung einer energetischen Baumaßnahme den Mieter jährlich an elf Prozent der daraus entstandenen Kosten beteiligen“, sagt Chychla. „Das kann bei einer Wohnung von 70 Quadratmetern und Dämmungskosten von etwa 20.000 Euro schon eine Mietpreiserhöhung von rund 200 Euro im Monat bedeuten.“ Energieeinsparungen von 25 bis 30 Euro im Monat könnten da auch nicht mehr überzeugen. Eine Bezuschussung durch den Staat könnte hier Abhilfe schaffen. Doch momentan werde die Förderung bundesweit sogar zurückgefahren, beklagt Chychla.

Nicht nur finanziell sind Wärmedämmverbundsysteme bedenklich – auch Ästheten nehmen Anstoß. So bilden sich oft kurze Zeit nach Anbringen der Wärmedämmungsplatten Schimmel- und Algenkulturen auf den Außenfassaden. Vom Gebäudeinneren kann keine Wärme mehr nach außen gelangen. Dadurch ist die Fassade meist kühl und feucht und bietet idealen Nährboden für Bakterien, Algen und Pilze, die einen Biofilm bilden. Ehemals weiße Wände bedecken dann grünlich-gräuliche Teppiche – ein Anblick, der für potenzielle Mieter nicht gerade ansprechend wirkt.

Um dem Algen- und Pilzwachstum Einhalt zu gebieten, hat sich die Industrie nun ein eher zweifelhaftes Konzept überlegt: Pestizide aus der Landwirtschaft sollen auf Putz und Farbe aufgetragen werden. Die Gifte hindern Algen und Pilze an der Photosynthese und so an einer weiteren Ausbreitung – bei vorsorglichem Auftragen kann auch die Entstehung verhindert werden. Doch auch diese Lösung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, denn die Gifte sind wasserlöslich, werden durch Regen wieder aus der Fassade ausgewaschen und gelangen so ins Grundwasser. Welche Folgen sich daraus für die Umwelt ergeben können, ist noch nicht hinreichend geklärt.

Helmuth Venzmer, Leiter des Dahlberg-Instituts für Baudiagnostik, hat bereits mehr als 1.500 Gebäude analysiert und auf 75 Prozent der Fassaden sichtbare Algen festgestellt. Eine Notwendigkeit, Pestizide einzusetzen, sieht er dennoch nicht: „Für Gesundheit und Umwelt sind Schimmel und Algen unbedenklich und greifen auch die Bausubstanz nicht an.“

Damit es aber gar nicht erst zu einem derart starken Befall komme, sollte schon im Vorwege das passende Dämmsystem gewählt werden. „Fassaden sollten von vornherein hydrophil, also wasserfreundlich, eingestellt werden. Regenwasser wird aufgesaugt, in der Tiefe deponiert und verdunstet, sobald die Sonne wieder scheint“, sagt Venzmer. Derzeit würden Fassaden häufig hydrophob, also wasserabweisend, eingestellt. Das Wasser bleibe an der Oberfläche haften und könne nicht nach innen hin aufgenommen werden. So sei – wie Venzmers Untersuchungen ergaben – die Algenbesiedlung bei hydrophoben Fassaden viermal so intensiv wie bei hydrophilen. „Daher kann unter Umständen auf Biozideinsätze bei hydrophilen Fassaden gänzlich verzichtet werden“, meint der Bauphysiker.