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Archiv-Artikel

Lernender Organismus

Ein großer Teil der freien Waldorfschulen wird zu Ganztagsschulen. Erlebnispädagogische Ansätze könnten bei der Gestaltung der Nachmittage eine wichtige Rolle spielen. Darüber wird ab Ende September auf einer Konferenz debattiert

VON JUTTA BLUME

Gemeinsam ein Kanu oder eine Schutzhütte bauen, das würden die meisten Menschen eher einem Ferienlager für Kinder zuordnen als einer Schulklasse im Unterricht. Während sich die Pfadfinder einfach freuen, wenn ihr Kanu schwimmt, gehört in der Schule dazu, dass man hinterher auswertet, wie die Zusammenarbeit gelaufen ist. Sich von der Natur eine Aufgabe stellen lassen, um daraus im übertragenen Sinne zu lernen, fällt indes in den Bereich der Erlebnispädagogik. Aus dem Bau der Schutzhütte ließe sich aber vielleicht auch ableiten, wie eine gute Ganztagsschule aussehen sollte.

Um Erlebnispädagogik und die Gestaltung einer ganztägigen Betreuung an freien Waldorfschulen wird es bei einer viertägigen Fachtagung ab Ende September in Berlin gehen. Sie wird unter dem Motto „Lebensraum Schule – Ganztagsschule“ von dem Bund der Freien Waldorfschulen, dem Bundesverband für Erlebnispädagogik und der Aventerra e. V. veranstaltet und richtet sich an alle interessierten Lehrer, Schüler und Eltern. Eine der brennendsten Fragen wird sein, wie in Zukunft ein ganztägiges Angebot von Waldorfschulen aussehen könnte, ohne dass bestehende Konzepte einfach zeitlich verlängert würden. Im Rahmen des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ stellte etwa die Hälfte der bundesweit 200 Waldorfschulen einen Antrag auf Umwandlung in eine Ganztagsschule.

Einige wenige konnten bereits mit der Umsetzung beginnen, wie die Waldorfschule in Potsdam, andere befinden sich noch in der Planungsphase. „Das Prinzip der Waldorfschule ist eigentlich schon immer als Ganztagsschule angelegt“, sagt Peter Schrey, Vorstand von der Erlebnispädagogik-Agentur Aventerra. Für den Nachmittag eigneten sich handwerkliche Fächer und Sportangebote. Insgesamt ermögliche der Einbezug des Nachmittags flexiblere Lernzeiten. Dadurch, dass Schüler den ganzen Tag miteinander verbringen, entstehe eine große persönliche Nähe, ist Peter Schrey überzeugt. „Der Lehrer ist nur noch Mitgestalter eines lebendigen, lernenden Organismus.“

Die Investitionsmittel der Bundesregierung fließen zunächst jedoch in die notwendigen Umbauten, nicht in die Betreuung. An Ganztagsschulen müssen entsprechende Aufenthaltsräume und eine Mensa vorhanden sein. Diese lassen sich selbstverständlich mit den Lernenden gemeinsam gestalten. So entsteht an der Dortmunder Waldorfschule unter der Regie der Schüler ein neuer Schulhof.

Angebote der Erlebnispädagogik richten sich zwar nicht nur an freie Schulen, doch „es hat sich gezeigt, dass Waldorfschulen auf diesem Gebiet sehr offen sind“, sagt Stefan Pfeiffer von Aventerra. Der Verein beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Erlebnispädagogik und hat bereits im letzten Jahr gemeinsam mit den Waldorfschulen eine Tagung zum Thema „Schule in Bewegung“ durchgeführt. Auch bei Aventerra arbeitet man mit Prinzipien der Waldorfpädagogik. Das Erleben orientiert sich häufig an Problemstellungen in der Natur, da hier unbekannte Grenzen unmittelbar erfahren werden können. In der Stadt kann aber auch ein künstlicher Klettergarten denselben Zweck erfüllen. Die Sicherheit der Kinder bleibe immer gewährleistet, versichert Stefan Pfeiffer.

Doch auch weniger aufwändige Aufgaben können erlebnispädagogisch gestaltet werden, wie etwa die Organisation eines gemeinsamen Frühstücks. Wichtig ist dabei immer, dass sich die Pädagogen auf die Funktion des Moderators zurückziehen. Die Schüler bestimmen selbst, was geschieht. Der Lehrende hilft im Nachhinein, die Erfahrungen auszuwerten. Auf erlebnispädagogische Weise lässt sich nicht nur die Natur, sondern auch eine fremde Stadt auf einer Klassenfahrt erkunden, zum Beispiel in dem die Kinder Interviews mit Passanten über das Besondere dieser Stadt führen. Sie dürfen auch selbst das Abendprogramm auswählen. „Der Lehrer muss aber dann die Entscheidung der Gruppe akzeptieren, auch wenn es der Besuch einer lauten Disko ist“, so Pfeiffer. Auch ruhige Phasen gehören dazu, etwa einen Brief an sich selbst zu verfassen, der von der Schule aufbewahrt und dann nach einem halben Jahr an den Schreiber abgeschickt wird.

Der Potsdamer Waldorfschule wurde mit Beginn des letzten Schuljahrs genehmigt, zur Ganztagsschule zu werden. In der Praxis geschieht dies schrittweise, da zunächst Umbauten nötig sind. Ein genauer Zeitplan liegt noch nicht vor. Bislang gibt es für die Schüler die Möglichkeit, am Nachmittag Arbeitsgemeinschaften zu besuchen. In diesem Zusammenhang hat sich die Schule auch nach außen geöffnet und Kooperationsverträge mit Sportvereinen, Kinderbauernhöfen, Musikschulen und Reiterhöfen geschlossen.

„Lebensraum Schule – Ganztagsschule“, 30. 9. bis 3. 10. in Berlin, www.aventerra.de