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Archiv-Artikel

Zickenzoff der Fänger

Oliver Kahn und Jens Lehmann streiten um den Stammplatz in der DFB-Elf. Lehmann, der am Samstag das Länderspiel gegen die Slowakei bestreitet, will sich als Nummer eins im Tor empfehlen

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Jürgen Klinsmann ist der Mann, der Widersprüche auflöst. Einfach so. Mutig. Apodiktisch. Handstreichartig. Die DFB-Elf spielt zu schlecht, um Weltmeister zu werden!? Ach was, der künftige Champion kommt aus Deutschland. Ein DFB-Coach hat im Lande zu wohnen!? Iwo, per Videoschaltung lässt sich trefflich konferieren und der Blick von außen ist allemal besser als die Binnensicht. Im Tor hat es eine klare Hackordnung zu geben, das war schon immer so!? Aber nicht doch, die Keeper werden auf ein völlig neuartiges Wechselspiel programmiert.

Klinsmann verändert Perspektiven. Klar, dass er deswegen schief angeschaut wird, nicht nur von Kahn und Lehmann, den fangfreudigen Alphatieren, die bis zur WM nicht mehr im direkten Duell aufeinander losgelassen werden. Am Samstag im Spiel gegen die Slowakei (ZDF, 19.25 Uhr) steht Lehmann im Kader und im Tor. Kahn bleibt zu Hause und kommentiert die Lage aus der Ferne. Dass sich die Keeper nun befehden, ist Klinsmanns Schuld. Das war wohl Kalkül, so abstrus die Rotation auch anmuten mag. Das sportliche Duell findet nun ersatzweise in den Medien statt, mehr denn je.

Können die Warte im Training ihre Kräfte nicht mehr messen, so tun sie es öffentlich. Zusätzlich melden sich Lobbyisten der einen und anderen Seite, wobei Kahn ein paar Claqueure mehr aufbieten kann. Der letzte Stand der Dinge im Zickenkrieg der Ballfänger ist eine Beschwerde Kahns, der „andere“, das heißt sein Konkurrent vom FC Arsenal aus London, verhalte sich unbotmäßig. „Es ist schon erstaunlich, wie respektlos er zum wiederholten Male mit dieser Konkurrenzsituation umgeht“, wird der Torhüter des FC Bayern von einer Boulevardzeitung zitiert. „Die Spielregeln, die formuliert wurden, scheinen für ihn keine Geltung zu haben“, echauffiert er sich. Auch beim Länderspiel am Mittwoch gegen Südafrika in Bremen steht Lehmann im Tor, und man weiß nicht recht, ob Oliver Kahn insgeheim nicht auf einen klitzekleinen Patzer des Herausforderers hofft, jedenfalls würde das seine Position wieder stärken.

Klinsmann ist in diesem Hahnenkampf der neutrale Betrachter, der nichts zu verlieren hat. Beide Keeper halten ja gut, bisweilen überragend. Und sollten sie in eine Formkrise geraten, stehen sie alle bereit: Timo Hildebrand, Robert Enke und Frank Rost. Hätte Klinsmann auf jeder Position derart viele Nachrücker, solide Back-ups, er könnte die Siegesfeier im kommenden Sommer bereits organisieren. Es gibt also kein Problem bei den Fängern im Groben; es handelt sich um eine Scheindebatte, um eine reine Inszenierung. Für die Torhüter wollte Klinsmann keine Ausnahme machen von der Regel, dass jeder Spieler im WM-Kader einen Prätendenten im Nacken spüren soll.

Klinsmann hat sich bislang nur darauf festgelegt, dass Kahn derzeit die Nummer eins ist, angesichts des Torwartkonstrukts allerdings eine, die sich ab und an in die Warteschleife begeben muss. Das soll den Konkurrenzdruck um einige Hektopascal erhöhen. Dem müsse sich ein Profi stellen, zumal einer, der den Beinamen Titan trägt. Kein Kicker solle sich seines Postens sicher sein. Was für Kahn eine Zumutung ist, erscheint Lehmann als Chance. „Ich wäre kein guter Profi, wenn ich nicht daran glauben würde, eine realistische Chance zu haben“, sagt Lehmann. Klarer wurde selten ein Anspruch auf einen lukrativen Posten formuliert. Mit Klinsmann habe er noch nicht sprechen können, sagt Lehmann. Er wolle sich nun ganz auf seine Leistung konzentrieren, den Fokus auf die Verrichtung seines Jobs richten. „Wenn ich jedes Wort auf die Goldwaage legen würde, dann würde ich den ganzen Tag mit schlechter Laune herumlaufen.“ Jetzt komme er in den Genuss „einer Möglichkeit, die ich vorher nicht hatte“, sagt er – und wahrscheinlich wurmt genau das den alten Stammhalter aus München.

Bei der WM dürfe kein Zweifler im Tor stehen, meint Lehmann, keiner, der den Konkurrenzkampf scheut. „Das ist nichts Neues für mich“, sagt er, „im Verein ist ja auch immer einer, der den Anspruch hat, die Nummer eins zu sein, deswegen ist für mich die Situation in der Nationalmannschaft gar nicht so stressig.“ Da spricht der Weltmann aus dem ehemaligen Spieler des DJK Heisingen, einer, der sich lustig macht über den lahmen Fußball in der Bundesliga, einer, der seinen Horizont in England erweitert hat. „Komfortabel fühle ich mich nie, denn die nächste Aufgabe wartet immer schon“, sagt Lehmann. In dieser Rastlosigkeit hat er sein Potenzial entdeckt. „Wenn ich Zweifel an mir hätte, könnte ich direkt nach Hause gehen“, also dorthin, wo Kahn gerade weilt.