: Auf nach Singapur!
Eine dringend notwendige Analyse zur aktuellen Krise der deutschen Politik im Zentrum der Macht
Seit die Kanzlerin vom G7-Gipfel aus Kanada zurückgekehrt ist, hat sich ihr Erscheinungsbild deutlich verändert. Es sind nicht nur die tiefen Augenringe, die signalhaft beleuchten, dass sich Angela Merkel politisch immer mehr vom großen amerikanischen Vorbild entfernt. Stattdessen nähert sie sich körperlich einem brandneuen Global Player auf der politischen Weltbühne an: Kim Jong Un. Dem nordkoreanischen Hefekloß sieht Merkel neuerdings immer ähnlicher.
Noch aus der Ferne hatte die Kanzlerin kalt lächelnd einen handfesten Streit mit Innenminister Horst Seehofer über die deutsche Flüchtlingspolitik losgebrochen. Widerspenstig, wie er ist, verinnerlichte der oberste Bayer im Gegenzug Taktik, Statur und Frisur des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dessen Zwillingsbruder er mittlerweile zu sein scheint. Längst spiegelt der „Riesenasylkrach“ (Bild) die Weltlage im deutschen Polittheater wider. Schon fragen sich politische Beobachter inbrünstig: Tritt Seehofer zurück? Oder rollt Merkels Kopf?
Es herrscht Kalter Krieg in Berlin, ein Lebensgefühl, das man dort nur zu gut kennt.
Aber während sich die Bevölkerung schon auf die längst verloren geglaubten Annehmlichkeiten einer Frontstadt freut, versucht die politische Klasse mühsam die Wogen der Krise mit einem insulären Vorschlag auf den Schaumkronen des Streits zu glätten: Merkel und Seehofer sollen sich nach dem Vorbild von Trump und Kim zu einem Versöhnungsgipfel in Singapur treffen und dort den ewigen Krieg der Schwesterparteien CDU und CSU beenden. Ob die Kanzlerin dafür, wie manche Kräfte in ihren Reihen vorschlagen, ihre Asylpolitik dem Erdboden gleichmachen wird, oder ob der Innenminister intuitiv ganz Bayern gegen Singapur eintauschen sollte, wie viele tiefblickende Vordenker fordern, das wird sich zeigen.
Am Ende könnten beide Kontrahenten, statt sich gegenseitig den Rücken zu stärken, rechts überholt werden, wenn ein dritter Brutus die Bundesregierung implodieren lässt. Dann müssen sich nicht nur die Nachrichtensprecher, sondern auch die Bundesbürger an die noch fremd klingenden Schalmeienworte „Bundeskanzler Jens Spahn“ gewöhnen. Das hieße, am falschen Ende Spahn.
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