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Archiv-Artikel

„Top Trail of Germany“

Mit dem Rheinsteig soll Wandern mit Blick aufs Rheintal ganz groß rauskommen. Mit einem griffigen Label will der Wanderpapst Rainer Brämer alte Wege neu promoten: Jung sollten sie sein, die neuen Wanderer, und vor allem fit

Zu Fuß entlang der Rheinberge von der Loreley nach Rüdesheim

VON CHRISTEL BURGHOFF

Eher unwahrscheinlich, dass Millionen Touristen irren, wenn sie an den Rhein fahren. Das Rheintal zwischen Koblenz und Bingen gehört zum Kostbarsten, was die Menschheit an Kulturlandschaft aufzubieten hat. Seit drei Jahren ist es offiziell: Die Unesco bedachte den spektakulären Canyon mit dem Prädikat „Welterbe“. 40 Burgen, Schlösser und Festungen werden hier gezählt, es ist die weltweit größte „Burgendichte“. Hinzu kommt der „mythologisch-geistesgeschichtliche Überbau“, der sich mit der verführerischen Loreley verbindet. Seit über 200 Jahren ist das Rheintal ein touristisches Ziel par excellence. Schon 1850 fuhren rund eine Million Touristen, vor allem Engländer, auf dem Rhein hin und her.

Wir wollen zu Fuß entlang der Rheinberge in Richtung Rüdesheim gehen. Der Weg ist neu. Er verspricht „Wandern auf hohem Niveau“ und jenseits aller Bescheidenheit sogar den Top-Trail-of-Germany: der Rheinsteig. Eine 320 Kilometer lange Wanderstrecke zwischen Bonn und Wiesbaden auf der rechtsrheinischen, sonnenbeschienenen Seite der Rheinberge. Sie führt über die Höhen des Siebengebirges bis zu den Ausläufern des Taunus, im Bereich des mittleren Rheins schlängelt sie sich entlang der besonders attraktiven Rheinberge. Weinfreunden erschließt sie zwei traditionsreiche Weinanbaugebiete: den Mittelrhein und den Rheingau.

Drei Bundesländer – Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen – haben sich gemeinsam dem Aufbau dieser Route verschrieben. Rechtzeitig zur Eröffnung am 8. September sollen neben neuen Wanderkarten auch zwei Wanderbücher in den Handel kommen und Gastronomie- und Beherbergungsverzeichnisse, die dem Gütezertifikat „Qualitätsbetrieb Wanderbares Deutschland“ genügen.

Um es gleich zu sagen: Niemand hat uns zu viel versprochen. Man sollte sich mehr gönnen als nur diesen einen entscheidenden Loreley-Blick auf das Rheintal. Wenn Taleinschnitte umgangen werden, geht es weit in die Buchenwälder des Hinterlandes hinein. Stille Orte, jenseits jeden Ausflugsrummels. Und immer steht eine Bank parat oder eine Schutzhütte oder ein Pavillon. Aber wir bemerken auch: Ganz neu ist das alles denn doch nicht. Wir wandern auf alten, lange erprobten Wegen, die die Wanderfans vor Ort seit je kennen und betreuen. Es sind unter anderem örtliche Rieslingpfade, Teile eines Hessenwegs und auch des Rheinhöhenweges. Wirklich neu sind nur 5 von 320 Kilometern des Rheinsteiges.

Neu am Rheinsteig ist vor allem die Idee des griffigen Labels für eine durchgehende Strecke. Der neue Top-Trail verknüpft auf der Grundlage einer Idealroute die attraktivsten regionalen Wanderwege. Etwas Bestehendes neu „in Wert setzen“, so heißt dies in der Sprache der Regionalplaner. Können sich hier Wanderer irren? Wenn der Ideengeber Rainer Brämer vom „Rheinsteig“ als dem „Top Trail of Germany“ spricht, dann möchte er vor allem die wissenschaftliche Seite des Projekts betonen.

Rainer Brämer, Natursoziologe und Wanderspezialist, verweist auf seine langjährigen Forschungen zu modernen Wanderbedürfnissen. Die Wanderer wollen, so sagt er, abwechslungsreiche, anspruchsvolle Wegstrecken, sie wollen gangbare Pfade und keine Teerstraßen oder langweilige Wege immer geradeaus. Sie wollen den Naturgenuss. Alles Qualitätsstandards, die, so Brämer, auf herkömmlichen deutschen Wanderstrecken längst nicht mehr Realität sind. Mit seinem ambitionierten Konzept der Wegeführung sorgt Brämer hierzulande für Innovationen, er geht aber auch in Konkurrenz zu den Organisationsmustern der klassischen Wandervereine. Nicht nur wegen der Wissenschaftlichkeit: Ein „Premiumweg“ wie der neue Rheinsteig soll auch vermarktungsfähig sein.

Der Rheinsteig: ein Top-Label, das im Verbund mit anderen Premiumwegen, etwa dem Rothaarsteig, Deutschland als Wanderland international bekannt machen soll. Rainer Brämer hat den Ruf eines Wanderpapstes. Er konzipierte nicht allein eine Idealroute – er ist auch zuständig für das Gütezeichen „Deutsches Wandersiegel“, das dem Rheinsteig seine „Premium“-Qualität bescheinigen wird. Vergeben wird es vom Deutschen Wanderinstitut. Auch ein Brämer-Projekt.

Von der Idee bis zu ihrer Prämierung: Hier wurde alles gut durchdacht. Auch einige Tücken des Weges. Sie verbergen sich beispielsweise im sachlichen Begriff „Höhen-“ bzw. „Anforderungsprofil“. Spätestens dann, wenn Brämer auf die „Zielgruppe“ des Rheinsteiges zu sprechen kommt, wird klar: Ganz so locker und marktgerecht ist das Wandern auf dem neuen Premiumweg denn doch nicht. Jung sollten sie sein, die neuen Wanderer, und vor allem fit. Mit dem Rheinsteig soll eine neue Wandergeneration gewonnen werden. Immer leichtfüßig auf „hohem Niveau“, wie es die Ankündigungen versprechen? Der Rheinsteig ist kein leicht zu gehender Weg. Die Berge am mittleren Rhein sind zahlreich und hoch und fordern auf steilen An- und Abstiegen Wanderern eine gute Kondition ab. Nie kommt man so schnell voran, wie man es sich vielleicht dachte. Als Wanderweg ist die Route über die Rheinberge vor allem eine Herausforderung.

Wir nehmen die Herausforderung an. Kein Wein mehr, wenn der Winzer lockt. Weinberge? Schön fürs Auge, aber die Gaumenfreuden werden verschoben. Oft schlängelt sich der Weg entlang der Scheidelinie von Weinbergen und Wäldern und führt manchmal auch über alte Weinhänge, die so steil sind, dass sie aufgelassen wurden. Hier verfallen die Trockenmauern, Wildnis erobert sich ihr Terrain zurück. Wir bewältigen Bachläufe rauf und runter und immer wieder Weinberge.

Der Schritt von den Höhen der Projekte und Berge ins Eldorado des Weingeistes ist aber immer nur kurz. Denn immer wieder führt uns der Weg hinab in die traditionellen Weinorte am Rhein. Und in neue Konflikte: Wollen wir heute wirklich noch einen weiteren Anstieg angehen oder doch lieber den örtlichen Riesling testen? Wir könnten eine der vielen Burgen besichtigen. Oder die Rheinfähre auf die andere Seite des Flusses ins Wellnesshotel gegenüber nehmen. Oder die Route mit dem Zug abkürzen. Wir könnten, könnten.

Wirklich viel hat sich seit den Verlockungen der Loreley am Rhein nicht geändert. Bequeme Angebote für einen Ausstieg gibt es genug. Die Reisegruppen in ihren Bussen, die feucht-fröhlichen Runden beim Wein machen es uns vor. Winzerorte wie Assmannshausen sind die Top-Adressen der Skat- und Kegelvereine, die sich hier gern in Stimmung bringen. Können wir überhaupt noch weiter?

Dann kommt die andere Schöne vom Rhein mit ihrer wallenden Haarmähne, die Germania, in Sicht. Sie steht auf dem Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim. Die Germania ist das Gegenteil der lasziven Loreley, sie ist die Kämpferische, in der einen Hand ein Schwert, in der anderen eine Krone. Ihr zur Seite ein Adler. Wir haben das Ende der Welterbe-Region erreicht. Auch hier promenieren zahlreich Touristen und lassen ihre Blicke über die Weinhänge hinunter nach Rüdesheim schweifen und weit über den Rhein und Bingen hinaus in die hügelige Landschaft. Unten, in Rüdesheim, liegt die ultimative Touristenmeile, die Drosselgasse. Rüdesheim ist die Rheingauer Winzermetropole, Hort der Weinseligkeit und für Souvenirjäger eine Sehenswürdigkeit der Extraklasse. Der Rheinsteig führt jedoch weiter, vorbei am Kloster der Hildegard von Bingen und am Kloster Eberbach, wo seinerzeit der Film „Der Name der Rose“ gedreht wurde. Rüdesheim lässt er schnöde neben sich liegen. Aus Vorsicht?

www.rheinsteig.de