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Mutige Kämpferin

Die Celler Synagoge präsentiert derzeit eine Ausstellung über die weltweit erste Rabbinerin, Regina Jonas aus Berlin, die 1944 im KZ Auschwitz ermordet wurde

Von Joachim Göres

„Mein Glaube an die göttliche Berufung und meine Liebe zu den Menschen, Fähigkeiten und Berufung hat Gott in unsere Brust gesenkt“, schrieb sie einmal in einem Brief an eine jüdische Zeitung – „und nicht nach dem Geschlecht gefragt“: 1935 wurde im hessischen Offenbach mit Regina Jonas die weltweit erste Frau zur Rabbinerin ordiniert. Daran erinnert eine Ausstellung, die derzeit in der Synagoge Celle zu sehen ist.

1902 in Berlin geboren und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, begann Regina Jonas 1924 an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums das Studium. Seit ihrer Kindheit stand für sie das Berufsziel „Rabbinerin“ fest, auch wenn die Leitung von Gottesdiensten in jüdischen Gemeinden Männern vorbehalten ist.

Nach der Anerkennung als Rabbinerin wurde sie von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin daher nur als Religionslehrerin beschäftigt: Für die meisten Gemeindemitglieder war eine predigende Frau undenkbar, selbst viele Frauen lehnten sie ab. Das änderte sich, als viele Rabbiner wegen der Nationalsozialisten auswanderten oder deportiert wurden: Immer häufiger leitete Jonas Gottesdienste, unter anderem in Berlin, Bremen, Göttingen, Wolfenbüttel und Braunschweig.

Jonas wusste um die Gefahr für ihr eigenes Leben, lehnte aber die Möglichkeit zur Auswanderung ab: Sie wollte sich weiter um ihre Mutter kümmern und den Gemeindemitgliedern beistehen. 1942 wurde Jonas zusammen mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später nach Auschwitz, wo sie am 12. Oktober 1944 ermordet wurde.

Dann geriet ihr Name in Vergessenheit, und es dauerte Jahrzehnte, bis sich Anfang der 1990er-Jahre einige Frauen auf Jonas’Spuren begaben, von der nur wenige Schriften und Bilder erhalten sind. Sie sprachen mit einstigen Schülern von Jonas, die ihr Studium mit der Erteilung von Hebräisch- und Religionsunterricht an jüdischen Schulen finanzierte.

„Sie war unvergleichlich schön.“ – „Sie machte nicht viel aus sich.“ – „Niemand nahm sie ernst.“ – „Sie war eine hysterische Person.“ – „Sie hatte eine dunkle, angenehme Stimme.“ – „Sie predigte lebhaft und anschaulich“: Wohl je nach Sympathie fiel das Bild unterschiedlich aus. Eine Frau, die sich zu behaupten wusste, was ein Zeitzeuge so formulierte: „Wenn man sie nicht durch die Tür einließ, dann stieg sie durchs Fenster.“

Dabei war Jonas eher konservativ in ihrem Glauben. Frauen seien sensibler und taktvoller als Männer, ihre Liebe zur Humanität sei sehr ausgeprägt – aus ihrer Sicht ideal für den Beruf des Rabbiners. Auch sollten Frauen in diesem Beruf nicht heiraten: Frau müsse sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden. Dies schloss eine Beziehung zu einem Mann allerdings nicht aus: Jonas selbst lernte 1939 den 32 Jahre älteren Hamburger Rabbiner Joseph Norden kennen – und lieben.

Warum sie alle Widerstände auf sich nahm, erläuterte Jonas im eingangs erwähnten Brief: „So hat ein jeder die Pflicht, ob Mann oder Frau, nach den Gaben, die Gott ihm schenkte, zu wirken und zu schaffen. Wenn man die Dinge so betrachtet, nimmt man Weib und Mann als das, was sie sind: als Menschen.“

In den liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt es heute sieben Rabbinerinnen – darunter Alina Treiger in Oldenburg und Elisa Klap­heck in Frankfurt am Main. Die orthodoxen Gemeinden leiten durchweg Männer.

Klapheck, die bei der Celler Ausstellungseröffnung sprach, wirkte in den 1990er-Jahren an Jonas’Wiederentdeckung mit. Sie ist Miherausgeberin der Streitschrift „Fräulein Rabbiner Jonas. Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ (1999), ihr Buch „Regina Jonas: Die weltweit erste Rabbinerin“ erschien dann im Jahr 2003. „Durch die Beschäftigung mit ihr bin ich selber auf den Weg zur Rabbinerin gebracht worden“, sagt die frühere Journalistin. „Weltweit gibt es heute 1.000 Rabbinerinnen, die meisten davon in den USA. Jede von ihnen identifiziert sich mit der kämpfenden Rabbinerin Regina Jonas.“

„Fräulein Rabbiner Jonas“: bis 5. 8., Synagoge Celle, Im Kreise 24

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