: Nirgendwo ein Zauberstab
Wahlkampf auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen? Ein Streit um die Statistik zeigt, wie hilflos die Union als auch die SPD bei der Vermittlung von „Arbeitslosengeld II“-Empfängern sind
Von Kai Schöneberg
„Da hätten wir irgendwo einen Zauberstab haben müssen“, sagt Ralf Trusin und meint damit, dass die Nachricht, im Landkreis Soltau-Fallingbostel seien satte 100 Prozent der jugendlichen Langzeitarbeitslosen unter 25 Jahren „aktiviert“ worden, einfach nicht stimmt. Trusin ist Abteilungsleiter Soziales im Kreis und findet, die Landesregierung sei da mit ihrer Anfrage zum Stand der Vermittlungen von „Arbeitslosengeld II“-Empfängern „wohl etwas vorgeprescht“.
Während die Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der Hand der Kommunen funktioniere, sei das Projekt Hartz IV mit der geteilten Trägerschaft zwischen Kommunen und Arbeitsagentur gescheitert, hatte Niedersachsens Sozial-Staatssekretär Gerd Hoofe in der vergangenen Woche triumphiert. Hoofe, der seiner Chefin Ursula von der Leyen bald in gleicher Funktion in Berlin dienen könnte, gilt in der Union als „Mister Optionsmodell“. Der Arbeitsmarktexperte hatte besonders darum gekämpft, dass nicht die Bundesagentur für Arbeit, sondern Städte und Gemeinden für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen zuständig sind. In Niedersachsen haben 13 von bundesweit 67 Kommunen „optiert“ – und sind somit den Unions-Weg gegangen.
Wen wundert‘s, das Hoofe gleichzeitig ganz guten Zahlen für „seine“ Optionskommunen präsentierte: Von fast 68.000 Arbeitslosen in deren Regie seien seit Januar 21.000 „aktiviert“ worden – knapp jeder zehnte in den ersten Arbeitsmarkt, jeder vierte in Eingliederungsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs.
Da würden Äpfel mit Birnen verglichen, ärgerte sich sogleich die Agentur für Arbeit. Hoofe habe mit „heißer Nadel“ eine „eigene Zählmethode entwickelt, die für uns in keiner Weise nachvollziehbar ist“, sagt der niedersächsische Agentur-Sprecher Michael Köster. Vergleichbare Zahlen über den Wettstreit der Systeme lägen erst in einigen Monaten vor.
Hoofe beharrt indes weiter darauf, die „Aktivierungsquote“ in den Optionskommunen liege bei 31,4 Prozent. Insider sehen dagegen einen „simplen Additionsfehler“, durch den die Zahl der „Aktivierten“ um 1.500 zu hoch angesetzt wurde. Ergo: Optierte wie Arbeitsämter vermitteln etwa gleich gut.
Niedersachsens DGB-Chef Hartmut Meine roch gleich „pures, populistisches Wahlkampf-Getöse“. Der Staatssekretär hinterlasse den Eindruck, „als seien allein die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaften und -agenturen verantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit“. Von einer „schlampig ausgewerteten“ Umfrage sprach SPD-Parlamentarier Dieter Möhrmann.
„Es ist doch Sinn der Sache, dass man nach einem halben Jahr prüft, ob das Optionsmodell erfolgreich ist oder nicht“, betont hingegen eine Sprecherin des Sozialministeriums. Das Thema eigne sich nicht für den Wahlkampf. Und: „Wir haben uns ja gar nicht mit der Agentur verglichen.“
Auch wenn inzwischen klar ist, dass die komplett vermittelten Jung-Arbeitslosen tatsächlich per Rechenfehler zustande gekommen sind, ist Ralf Trusin aus Soltau-Fallingbostel weiter „nicht sehr froh“ über den Streit um seine Arbeitslosen. Oft habe es Anfragen über Zahlen gegeben, „aber ich stelle lieber einen Vermittler ein als einen Statistiker“, sagt der Amtsleiter.
Die Wahrheit im Optionskreis Soltau-Fallingbostel bleibt so vom Rechen-Streit unberührt wie traurig: Hier wurde von Januar bis April 120 „Arbeitslosengeld II“-Empfängern ein Job vermittelt. Dennoch stieg die Zahl der langzeitarbeitslosen „Bedarfsgemeinschaften“ bis zum August von 5.300 auf 5.700.