: „Ungleichheit treibt mich um“
Barbara Unmüssig
Die Politologin Barbara Unmüssig ist Vorstandsmitglied der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. Dort fiel Frauenpolitik in die Zuständigkeit der 49-Jährigen. Die Idee, den zehnten Jahrestag der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking als Anlass zu nutzen, um in Berlin Frauen eine internationale Plattform zu geben und sich neu zu positionieren, stammt maßgeblich von ihr. Ab Donnerstag treffen sich an der Humboldt-Universität 600 Frauen aus über 30 Ländern. International zu agieren wurde für Unmüssig in ihrer Karriere in entwicklungspolitischen und Menschenrechtsorganisationen zur Selbstverständlichkeit. Heute hat sie Hartz-IV-Betroffene und Arbeitsmigrantinnen in Deutschland ebenso im Blick wie Fabrikarbeiterinnen in Entwicklungsländern.
INTERVIEW Waltraud Schwab
taz: Frau Unmüssig, endlich wieder mal eine große internationale Frauenkonferenz in Berlin. Sie hatten die Idee dazu: Sind Frauenthemen Schwarzbrot?
Barbara Unmüssig: Darüber, dass Frauenpolitik schlecht angesehen ist, wurde genug geredet. Nun braucht es Taten. Mit der Konferenz möchten wir zeigen, welches Wissen über wichtige gesellschaftliche Themen von Frauen geliefert wird. Frauen haben zu Sicherheitspolitik, globalen ökonomischen Fragen Wissenspolitik, Menschenrechten, Biopolitik etwas zu sagen. Frauenpolitik ist nicht nur Familienpolitik.
Das ist ja nicht neu.
Stimmt. Schon bei der UN-Frauenkonferenz in Peking vor zehn Jahren wurde der Konsens erreicht, dass Geschlechtergerechtigkeit kein Nischenthema ist, sondern quer durch alle Politikfelder behandelt werden muss. Das ist ein radikales Konzept. Bislang bleiben die Politiker, die aufgefordert waren, den Konsens umzusetzen, jedoch alle Beweise schuldig, dass sie das ernst nehmen.
Können Sie das genauer ausführen?
Bei allen großen Politikthemen, seien es die Strukturanpassungsprogramme in der Dritten Welt oder die Reformdebatten beim Umbau der Sozialsysteme hier, kommt die systematische Einbeziehung des Geschlechterblicks nicht vor. Gesellschaftsentwürfe von Frauen werden nicht abgefragt. Schlimmer, die Geschlechterwirkungen von politischen Entscheidungen werden noch nicht einmal geprüft. Es wird komplett ignoriert, dass ungleiche Voraussetzungen von Männern und Frauen nicht mit einer geschlechterbezogen gleichen Politik aufgehoben werden können. So was resultiert in Unzufriedenheit. Die artikuliert sich noch nicht politisch, aber ich glaube, dass die Zeit reif ist dafür.
Warum ist die Ungleichheit dennoch nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein?
In der BRD wurden große Fortschritte gemacht beim fairen Zugang von Jungen und Mädchen zu Bildung. Deshalb wird eine 18-Jährige oder auch eine Studentin noch nicht realisieren, dass es gesellschaftliche Barrieren gibt. Wenn sie jedoch mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder mit der Frage, wie geht es mit der Karriere weiter, konfrontiert ist, wird sie vielleicht erkennen, dass es sehr wohl etwas ausmacht, zu welchem Geschlecht man gehört. Warum schaffen nur 12 Prozent Frauen eine wissenschaftliche Karriere? Warum verdienen Frauen in der BRD nach wie vor in vergleichbaren Jobs nur 80 Prozent des Männergehalts? Da stimmt doch was nicht im Geschlechterverhältnis.
Ist der Ausschluss der Frauen in Deutschland repräsentativ für die Regionen weltweit?
Für Industrieländer ja. Drittweltländer haben mit ganz anderen Ausschlusskriterien zu tun. Ausschluss von Bildung, Ausschluss vom Gesundheitssystem, Ausschluss von elementaren Rechten. Gewalt in Familien ist zudem prozentual ein viel gravierenderes Problem in vielen Drittweltländern. In einigen Regionen ist die politische Teilhabe von Frauen zudem stark behindert.
Geschieht der Ausschluss hierzulande auf subtilere Weise?
Sicher. Es ist sehr schwer, überhaupt noch zu vermitteln, was typische Rollenzuschreibungen sind für die Geschlechter. Untersuchungen belegen, dass Frauen in den letzten 30 Jahren ihre Rolle viel stärker gewandelt haben als Männer. Sie sind selbstbewusster geworden, fordern ihre Rechte ein, haben Geschlechterstereotype überwunden. Andere Forschungen zeigen, dass das, was unter Männlichkeit verstanden wird, sich bei allem gesellschaftlichen Wandel nach wie vor stereotyp äußert. Ein Mann ist stark, er weint nicht, ist Ernährer der Familie, macht Karriere.
Sie selbst sind gar nicht in der Frauenbewegung groß geworden. Wie kommt es, dass sie heute so vehement für die Sache der Frau eintreten?
In meiner bisherigen Arbeit habe ich Frauenthemen nie in den Vordergrund gestellt, aber in der Böll-Stiftung habe ich diesen Bereich übernommen. Sofort wurde die Abwertung deutlich. Was, die macht Frauenpolitik, wurde gesagt und es war nicht nett gemeint. Es hat viele überrascht, mit welcher Hartnäckigkeit ich dennoch dranbleibe. Da ich auch für internationale Fragen zuständig bin, war es für mich klar, die Gemeinsamkeiten zwischen Frauen weltweit aufzuzeigen. Was sind gemeinsame Ausschlusskriterien, wo sind die Unterschiede?
Die Konferenz, die Sie nun organisieren, soll einen Überblick geben, über das, was geleistet wurde in den zehn Jahren seit der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking. Was ist passiert?
Die Bilanz ist gemischt. Einerseits ist ein großer Teil der Frauen weiterhin nicht nur vom Zugang zu Land, zu Menschenrechten, zu Bildung ausgeschlossen. Auf der anderen Seite haben Entwicklungsprogramme und nationale Anstrengungen dazu geführt, dass die Analphabetenrate zurückgeht und mehr Frauen in der Erwerbsarbeit sind, wenn auch unter teils miserablen Arbeitsbedingungen. Dass wir mit der Aktionsplattform von Peking und mit der Antidiskriminierungskonvention gegen Frauen einen rechtlichen Rahmen haben, der die Einklagbarkeit von Menschenrechten möglich macht, das sind ebenfalls Fortschritte. Wenn es jedoch darum geht, wo sich Frauen mit ihren gesellschaftspolitischen Konzepten einbringen können, dann wird es eng.
Welche gesellschaftlichen Konzepte von Frauen meinen Sie denn?
Nehmen wir den Arbeitsmarkt hier. Bei Hartz IV wurde es versäumt, die konkrete Wirkung auf die Geschlechter zu untersuchen. Einerseits kommen allein erziehende Frauen mit Sozialhilfe jetzt wieder in die Arbeitsvermittlung. Das ist positiv. Andererseits verlieren Frauen ihre eigenständige Existenzsicherung, weil das Gehalt des Mannes beim Arbeitslosengeld II einbezogen wird. Das ist ein dramatischer Rückschritt. Die eigene Existenzsicherung von Frauen war immer eine zentrale, feministische Forderung, um Frauen von Erpressungs- und Gewaltsituationen wenigstens ökonomisch zu befreien. Bei einem so wichtigen Thema wie Hartz IV wurde der Anspruch, Geschlechterwirkungen erst zu untersuchen und dann Gesetze zu beschließen, eklatant verletzt.
Biopolitik, Wissenspolitik und Menschenrechte, ökonomische Fragen und Sicherheitspolitik stehen als Themen auf dem Programm der Konferenz. Geben sie ein Beispiel, wie das geschlechterbezogen zu diskutieren ist?
Nehmen wir Sicherheitspolitik – was für ein Anspruch. Uns geht es darum aufzuzeigen, wie eine geschlechtersensible Politik der Krisenprävention und der Konfliktbearbeitung aussehen könnte. Wir wissen, dass in Konfliktsituationen das ganze Wissen von Frauen, wie man vor Ort eventuell auch Konflikte lösen kann, überhaupt nicht in den entsprechenden Programmen oder gar Sicherheitsdoktrinen von Nato, EU und der Bundeswehr Widerhall finden.
Welche Lösungen haben Frauen in diesem Bereich?
Bei Sicherheitsfragen setzen sie viel stärker auf Prävention als es die klassische Sicherheitspolitik tut. Beispiel Somalia. Die Friedensverhandlungen im Jahr 2000 begannen dort ohne eine einzige Frau. Zugelassen waren entsprechend der traditionellen Clan-Struktur nur die männlichen Vertreter der fünf Clans. Frauen hatten in den politischen Strukturen der somalischen Gesellschaft keine Stimme. Da haben die Frauen clanübergreifend einen sechsten Clan, jenen der Frauen, gegründet und erstritten sich damit die Partizipation im Friedensprozess. Erst so konnten sie ihre vielschichtigen Beiträge zum Friedensprozess verankern. Solche Initiativen unterstützen wir.
Beim Thema Frauen und Ökonomie, wie sieht da eine geschlechtsbezogene Zuspitzung aus?
Es muss ganz klassisch danach gefragt werden, wer die Gewinnerinnen, wer die Verliererinnen ökonomischer Globalisierungsprozesse sind. In Drittweltländern etwa sind mehr Frauen denn je in Erwerbsarbeit, aber nach wie vor zu dramatisch schlechten Löhnen und Gehältern. Wir müssen darüber nachdenken, was diese neue Arbeitsteilung, die wir durch die Globalisierung erleben, mit Arbeitsplätzen und Lebensverhältnissen von Frauen macht. Da rückt dann natürlich auch ins Blickfeld, dass europäische Frauen die Tendenz haben, sich ihre Haus- oder Pflegearbeit von osteuropäischen oder asiatischen Frauen erledigen zu lassen, sofern sie es sich leisten können. Das heißt aber auch: Wir tragen auf dem Rücken anderer Frauen aus, dass wir es in unserer eigenen Gesellschaft nicht geschafft haben, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Haushalt und Pflege zu überwinden.
Ist das jetzt nicht sehr klischeehaft gesprochen?
Überhaupt nicht. Wenn wir von Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden und von Familienpolitik, dann wird etwa gefordert, dass Familien monetär besser gestellt werden sollen oder Frauen mehr Teilzeit angeboten werden muss. Aber wer redet darüber, dass Männer ihren Teil am Haushalt machen müssen? Einschlägige Zahlen belegen, dass Männer, wenn sie Väter werden, etwa 5 Prozent mehr ihrer Zeit im Haushalt verbringen. Ich hab darauf auch keine einfachen Antworten, weil die Polin oder Philippinerin umgekehrt vielleicht ganz froh ist, hier einen Job zu bekommen. Aber dann müssen sich alle, nicht nur die frauenpolitisch Engagierten, auch mit Fragen konfrontieren wie: Was heißt das für den Rechtstatus der Haushaltshilfe? Was heißt das für die Einwanderungs- und Migrationspolitik?
Soll die Konferenz dazu beitragen, dass in Zukunft wieder klarere Grenzen zwischen Männern und Frauen gezogen werden?
Nein, nicht Grenzen, schon gar nicht Gräben. Es geht darum, Frauen zu stärken, dass sie weiter für ihre Rechte und ihre Selbstbestimmung eintreten. Es ist eben leider keine Selbstverständlichkeit, Zugangsrechte und Freiheit von Gewaltverhältnissen, auch von subtilen Unterdrückungsmechanismen und diskriminierenden Tatbeständen, zu kriegen. Es geht auch darum, selbstbewusst gegen die Abwertungsspirale und den Bedeutungsverlust anzugehen, den erlebt, wer sich frauenpolitisch engagiert und identifiziert.
Sollen Frauen wieder konfrontativer werden?
Jammern verändert die Welt nicht. Nur auf Institutionen setzen auch nicht. Was die Durchsetzung von politischen Anliegen angeht, bin ich absolut davon überzeugt, dass man beides braucht: Kooperation und Konfrontation. Ich will mit dieser Konferenz zeigen, dass wir selbstbewusst feministische Themen und Geschlechtergerechtigkeitsfragen wieder auf die Agenda setzen können. Es treibt mich wirklich um, dass definitiv vorhandene Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen nicht mehr in politische Artikulation mündet.
Ihnen selbst macht es Spaß, konfrontativ zu sein?
Ja, das macht mir Spaß.