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Glaube, Liebe, Antirassismus

Seit seiner Predigt auf der Hochzeit von Meghan und Harry kennt ihn jeder. Michael Curry ist der Superstar der Episkopalkirche – und deren Reformator

Von Dorothea Hahn, New York

Mehr Berühmtheit geht kaum. Seit seinem Auftritt in Windsor und vor Fernsehzuschauern in aller Welt – darunter allein 30 Millionen US-AmerikanerInnen – eilt Michael Curry von einer Talkshow zur nächsten. Auf allen Kanälen erzählt der schwarze Bischof und Chef der Episkopalkirche von der „erlösenden Macht der Liebe und von der Aura von Harry und Meghan“ und witzelt darüber, dass er dachte, die Einladung zur Hochzeitspredigt sei ein Aprilscherz gewesen. JournalistInnen von CNN bis NBC hofieren ihn wie einen Rockstar. Selbst die viel gesehene „Saturday Night Live“-Show hat ihm einen Sketch gewidmet.

Der 65-jährige Curry tritt mit dem Lächeln und dem Enthusiasmus auf, den er auch in der St George’s Chapel von Windsor gezeigt hat. Als er dort den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King mit den Worten zitierte, Liebe könne die Welt verändern, und die Sklaverei, den Kolonialismus sowie die Armut in der Welt streifte, zuckten die Gesichter einiger RepräsentantInnen der britischen Krone nervös. Die Braut, deren Mutter schwarz ist, strahlte unterdessen. Curry redete statt der geplanten 5 Minuten ganze 16 Minuten lang. Gestikulierte und charmierte, erzeugte Gefühl und Leidenschaft und sagte 65 Mal das Wort „love“.

Es klang wie an einem Sonntag in einer schwarzen Gemeinde in den USA. Mit dem Unterschied, dass dort die Gläubigen hörbar Anteil nehmen. Laut stöhnen oder „Amen“ rufen, wenn ihr Prediger besonders eindrücklich wird. In Windsor sprach Curry zu einer Versammlung von Schweigenden. Auf dem Rückweg zu seinem Sitzplatz munterte er sich selbst mit den Worten auf: „Ich hoffe, das war okay.“

Tatsächlich war es viel mehr als okay. Für die krisengeschüttelte Episkopalkirche war der Auftritt eine Werbeaktion, von der sie nicht hätte träumen können. Seit Jahren laufen der Kirche die Gläubigen weg, sie muss Gemeinden zusammenlegen und Kirchen schließen. Ganze Diözesen spalten sich ab. Die Zahl der Mitglieder ist auf 1,8 Millionen gesunken, 20 Prozent weniger als noch zu Beginn des Jahrtausends.

Curry spielt innerhalb der Episkopalkirche eine Rolle, die mit der von Papst Franziskus vergleichbar ist. Er versucht, alte Strukturen und Rituale zu durchbrechen, soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen und neue Gruppen anzusprechen. Bei seiner Antrittsrede als Primas der Episkopalkirche 2015 nannte Curry zwei Leitmotive: Bekehrung und Aussöhnung zwischen den Rassen. Beides, sagte er mit dem Lächeln, das jetzt weltberühmt ist, sei nicht typisch für die Epis­kopalkirche.

Vor ihm saßen 2.500 reli­giöse WürdenträgerInnen in der National Cathedral in Washington. Sie waren mehrheitlich weiß wie die Gründer der Kirche. Mit großer Mehrheit hatten sie für Curry gestimmt, auch weil sie hofften, er könnte das Image ihrer Kirche verändern.

Currys Vorfahren waren Sklaven. Seine Großmutter sang ihm Lieder vor, die von der Zwangsarbeit auf Plantagen stammten. Sein Vater war Priester in der Episkopalkirche, er durfte nur im schwarzen Zweig der Kirche predigen. Curry kam in Chicago zur Welt. Später lebte die Familie in Buffalo, New York, wo sein Vater auch gegen die Rassentrennung an den Schulen kämpfte. Der hätte sich „nicht ausmalen können, dass fünf Jahrzehnte später Barack Obama Präsident der USA und sein Sohn Präsident der Episkopalkirche werden würde“, sagte Curry mal in einem Interview.

Die Episkopalkirche war keine Kirche von unten, sondern ein Ort von Macht und Privilegien. Ein Viertel aller US-Präsidenten gehörten ihr an. Mit den ersten englischen SiedlerInnen kam sie als Teil der anglikanischen Kirche in die Kolonien. Nach der Unabhängigkeit löste sie sich zwar organisatorisch von der Mutterkirche, blieb aber weiß. Als SklavInnen das Recht bekamen, zu beten, mussten sie das auch bei den Episkopalen in getrennten Gebäuden. Noch als Martin Luther King, selbst ein Baptist, 1963 seinen Sohn in einer episkopalen Schule in Atlanta anmelden wollte, wurde er wegen seiner Hautfarbe abgewiesen.

Curry ging noch zur Schule, als die Segregation offiziell beendet wurde. Anschließend studierte er, wurde wie sein Vater episkopaler Priester und übernahm von den Baptisten, denen seine Großmutter folgte, den emotionalen Predigtstil und das Werben um neue Gläubige. Curry gründete eine Familie – seine beiden Töchter sind inzwischen erwachsen –, arbeitete in Gemeinden in Ohio und Maryland und wurde in North Carolina Bischof. Überall engagierte er sich auch politisch. Er protestierte gegen die Apartheidpolitik in Südafrika, schloss sich in North Carolina der neuen Bürgerrechtsbewegung an und war einer der ersten Geistlichen in dem konservativen Bundesstaat, der gleichgeschlechtliche Paare traute.

Gegenwärtig hat die Episkopalkirche nur knapp sieben Prozent schwarze Mitglieder. Curry versucht, das zu ändern. Als Präsident der Organisation, als Prediger und auf der Straße.

Fünf Tage nach seinem Auftritt in Windsor zog er zu einem anderen Zentrum der Macht, dieses Mal in Washington. Bei einer Mahnwache zusammen mit Geistlichen anderer Religionsgemeinschaften – darunter Katholiken und Protestanten, aber keine Evangelikalen, die Donald Trump unterstützen – protestierte er am Weißen Haus gegen die „Normalisierung der Lüge“, die „America first“-Politik und die „Wieder­auferstehung des weißen Na­tionalismus“.

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