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„Ein Gegensatz, den es nicht gibt“

Nach der Neueröffnung einer neuen Station am Klinikum Bremen-Ost steht Jens Reimer, der Direktor des Zentrums für psychosoziale Medizin, erneut in der Kritik. Er sieht sich aber nicht im Widerspruch zur beschlossenen Psychiatriereform

Interview Jan-Paul Koopmann

taz: Herr Reimer, was war der größte Erfolg in Ihren fast zwei Jahren als Direktor des Zentrums für psychosoziale Medizin?

Jens Reimer: Wir haben organisatorisch eine Menge auf den Weg gebracht, beispielsweise eine Hotline für Einweiser und Nutzer der Abteilung für Suchtmedizin, aber auch einige inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Wir können die Menschen heute in längerfristiger Beziehungskontinuität behandeln. Haus 12 wird schwerpunktmäßig für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen aufgebaut. Und wir haben kürzlich Haus 3 geöffnet als spezialisierte Einheit, in der wir uns in besonderem Maße um Menschen mit Psychosen kümmern können.

Diese Entscheidung ist nicht unumstritten. Die Verlegung der Patienten von der berüchtigten Station 63 vom Turm runter in den Park ist natürlich ein Gewinn. Aber laufen Spezialstationen nicht der von der Bürgerschaft beschlossenen Regionalisierung zuwider?

Ich glaube, da wird ein Gegensatz aufgebaut, den es in der Form gar nicht gibt. Für Behandlungskonzepte und Mitarbeiterschulung ist es einfacher, wenn man das Krankheitsbild genau kennt. Dann hat man Routine und die Qualität wird besser. Das sehen Sie ja auch in anderen medizinischen Fachgebieten: Man wendet sich dahin, wo es eine Expertise gibt. Und wir haben in Ost die räumlichen Möglichkeiten, viele Stationen zu unterhalten. Man muss sich dann aber natürlich fragen, wie man trotzdem einen regionalen Bezug herstellen kann.

Wie denn?

Die Mitarbeiter wissen ja, wer in Süd oder in West die nächste Ansprechperson ist und klären das mit den Patienten: Die leitet dich dann weiter. Die kommt auch vorher schon hier auf die Station und begleitet dich. Und die kennt auch die anderen Träger in den einzelnen Regionen.

Also kommt jemand mit einer akuten Psychose aus Walle auch in Zukunft hier raus nach Osterholz? Oder soll es diese jeweiligen Spezialstationen auch in anderen Stadtteilen geben?

Wir werden nicht überall solche Fachstationen bauen. Unser Ziel ist die Stärkung der ambulanten Behandlung und im Optimalfall sollte der Patient gar nicht erst auf eine Station hier in Ost kommen. Wir müssen die ambulanten Angebote vor Ort stärken. Im Moment ist das noch nicht gut genug ausgebaut. Es ist ein großer Schritt zwischen einer psychiatrischen Institutsambulanz und dem Angebot in der Klinik. Die Lücke ist noch groß zwischen sechs bis acht Stunden teilstationärem Aufenthalt in der Tagesklinik und den ein bis zwei Stunden, die eine Institutsambulanz anbieten kann. Und die müssen wir schließen.

Die Ambulantisierung ist ein Kernstück der vom Parlament beschlossenen Reform. Bei der Eröffnung von Haus 3 sagten Sie, die Ambulantisierung brauche die Station als Basis. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, warum?

Sie müssen sich doch entscheiden, wo Sie die knappen Ressourcen hinstecken. Kann Bremen gleichzeitig neue Betten finanzieren und alternative ambulante Strukturen aufbauen? Bestimmt ist die Formel „Bettenzahl runter – Ambulanz rauf“ zu einfach, aber wie kann es gehen, ohne dass sich beides gegenseitig kannibalisiert?

Die Psychiatriereform

2013 hat die Bremer Bürgerschaft einstimmig die Psychiatriereform beschlossen. Ambulantisierung, stärkere Einbindung Psychiatrieerfahrener sowie eine wohnortnahe, sektorübergreifende Versorgung in den Stadtteilen war das Ziel.

Seither sind Modellprojekte entstanden: Unter anderem die Nachtcafés in Bremen und Bremerhaven und der bremenweite Kriseninterventionsdienst der Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste (Gapsy) werden von der Gesundheitsbehörde bis 2019 finanziert.

2017 erstellte die Klinikholding Gesundheit Nord auf Druck von Medien und Politik einen Aktionsplan und stellte 1,2 Millionen Euro bereit, um die Akutaufnahme-Station 63 im Krankenhaus Bremen-Ost zu schließen und das Haus 3 im Park zu sanieren.

Man hat ja etwa in Finnland gesehen, dass durch Stärkung der ambulanten Versorgung ein Bettenabbau möglich ist, aber ich kenne kein Land, das ganz ohne Betten auskäme. In der Allgemeinpsychiatrie haben 50 Prozent der Menschen Entlasshindernisse, einen Unterbringungsbeschluss oder gar kein Zuhause. Wir haben den Auftrag, allen Patienten, auch denjenigen, die gegen ihren momentanen Willen – auf den Stationen sind, eine gute Therapie, ein gutes therapeutisches Milieu anzubieten. Deshalb glaube ich schon, dass wir noch Stationen brauchen.

Alle Stationen zu schließen fordert ja auch niemand. Aber wie viele? Die Reform hat sich 2021 als Ziel gesetzt. Irgendwann müssen Sie doch sagen können: Wir brauchen soundso viele.

Es ist ja die Frage, wie man die Umsteuerung gestaltet. Mit dem derzeitigen Abrechnungssystem kann man noch keine großen Würfe machen. Die Frage ist: Kann man so etwas umsetzen wie ein regionales Budget? Das ist in Bremerhaven ja versucht worden, da hat es nicht geklappt. Jetzt überlegen wir gerade, wie man etwas Vergleichbares in der Stadtgemeinde realisieren könnte.

Das fordern ja auch die Verbände. Erklären Sie bitte noch mal, worum es geht?

Im Augenblick bekommt ein Krankenhaus sein Geld durch belegte Betten und Fälle in der Institutsambulanz. Die Idee ist jetzt: Man bekommt diese Summe einfach zur Verfügung gestellt. Das ist dein Betrag X, mit dem man die Versorgung sichert. Dann ist ja klar, dass man auch eher überlegt, wie die institutionalisierte Versorgung abgebaut werden könnte. Das wäre ein Anreiz für alle Träger, mehr in den ambulanten Bereich hineinzugehen. Im Augenblick verhandelt man Bettentage mit den Krankenkassen und aus wirtschaftlichen Gründen muss man ja auch gucken, dass diese Zahl in der Annäherung erreicht wird. Wir würden gerne mehr machen, aber es wird nicht mehr bezahlt. Mit regionalem Budget müsste man nicht mehr so stark in der Kategorie von Betten denken.

Und das wird in Bremen – im Klinikverbund – aktuell verhandelt?

Die freien Träger haben für den Bremer Westen ein relativ großes Modell für einen gemeindepsych­iatrischen Verbund auf die Beine gestellt – und wir diskutieren das auch intern. Ob es nun regionale Budgets werden oder andere Varianten wie integrierte Versorgungsverträge oder stationsäquivalente Behandlung – es ist uns ein Anliegen, mehr in die ambulante Versorgung hineinzugehen.

Sie haben hier in Bremen von Anfang an harte Kritik einstecken müssen. Ist es ruhiger geworden?

Jens Reimer,

49, ist Direktor des Zentrums für psychosoziale Medizin am Klinikum Bremen-Ost. Vorher war er 15 Jahre lang an der Uniklinik Hamburg–Eppendorf tätig.

Ich nehme schon wahr, dass einige entschiedene Kritiker vom Anfang inzwischen gemerkt haben, dass man mit mir reden kann. Und dass ich ja durchaus auch bereit bin, Ideen, die hier in Bremen existieren, auch aufzunehmen …

… was zum Beispiel ist gut an Bremen?

Die Integration des sozialpsychiatrischen Dienstes und der Ambulanzen, weil sie Kontinuität schaffen. Und ich habe auch die Denkmodelle in der ambulanten Versorgung schätzen gelernt. Da haben die freien Träger eine Menge an geistiger Arbeit und Ideen geleistet, wie sie Versorgung in der Region gestalten wollen. Und da kann ich auch verstehen, dass es in der Vergangenheit zu stärkeren Konflikten mit der Klinik gekommen ist. Da ist ein Bild entstanden von einer Burg, in der vor sich hin gearbeitet wird, und die nie wirklich rauskommt. Und wir haben auch dafür gesorgt, dass wir unsere Präsenz und den fachlichen Austausch mit anderen Akteuren gestärkt haben. Und ich glaube, das wird auch geschätzt.

Aber?

Ich bin hier mit Ideen hergekommen und ich habe viel gelernt. Ich schätze vieles, was Verbände und freie Träger auf den Weg gebracht haben. Aber bei der reinen Psychosestation in Haus 3, da bin ich bei meiner Meinung geblieben.

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