: Seufzen, aber Farbe bekennen
Auch nicht mehr das, was sie mal waren? Folge III: Die stöhnenden Unterstützer. Sie verfolgten das rot-grüne Treiben aus der Distanz. Gerne würden sie nun sehen, wie Schwarz-Gelb „den Arsch hinhält“ – müsste genau das nicht verhindert werden
Die Serie: Auch nicht mehr das, was sie mal waren? Im Wahlkampf neigt die Info-Elite wider besseres Wissen zu einer totalen Fixiertheit auf Parteien und ihre Spitzenpolitiker. Und klagt dabei über eine intellektuelle Leere, über fehlende Impulse aus den anderen Gruppen der Gesellschaft. Wie steht es wirklich um den geistigen Zustand der Republik? Folge II war: Die Kritisch-Solidarischen
von JOSEPH VON WESTPHALEN
„Sind Sie konservativ?“, wollte die Frankfurter Rundschau im Sommerloch von einigen Schriftstellern wissen. Wäre ich gefragt worden, hätte ich bei dieser Serie ohne zu zögern mitgemacht. Die Antwort wäre mir nicht schwer gefallen. Ich hätte anfangs kokett nach konservativen Zügen in mir gefahndet, um damit zu jonglieren, hätte die Suche dann jäh unterbrochen und behauptet: Angesichts der penetranten Wiederkehr der hysterischen Massenfrömmigkeit, angesichts der Beliebtheit von nach rechts oder zumindest nach Ernst Jünger riechenden Büchern wie dem „Eisvogel“ von Uwe Tellkamp und der verräterischen Begeisterung des Feuilletons darüber, angesichts des immer reaktionärer und unlesbarer werdenden Spiegels, angesichts der gebetsmühlenhaften Rot-Grün-Verhöhnung, angesichts der entenhaften Sympathiekundgebungen von Alice Schwarzer, Monika Maron und Wolfgang Joop für die im Aufwind schnatternde CDU-Ente und der billigenden Inkaufnahme der sie umschwirrenden Kompetenzfalter, würde ich meine konservativen Anwandlungen so lange zurückstellen, bis die Linke stärker geworden ist.
Nach meinem Konservatismus aber bin ich nicht gefragt worden, sondern danach, ob ich die Wählerinitiative von Günter Grass für Schröder unterstützen wolle. Diese Antwort ist mir weniger leicht gefallen. Um ehrlich zu sein: Zwei Tage habe ich gebraucht, um die angenehme Haltung des Beobachters aufzugeben und mich zu einem ordinären „Ja“ durchzuringen. Es war klar, dass nicht allzu viele Schriftstellerkollegen dem Aufruf folgen würden und dass mit einigem Kopfschütteln zu rechnen wäre. Der Schriftsteller, der sich für eine Partei einsetzt, ist tatsächlich aus der Mode gekommen. Nicht zuletzt das Anachronistische daran hat mich gereizt. Man wird tatsächlich schief angesehen, wenn man sich politisch ein bisschen aus dem Fenster lehnt. Als wäre das unfein. Als wäre man nicht mehr bei Trost. Genau das gefällt mir.
An der Wertschätzung des politischen Engagements zeigt sich, wie sich die Zeiten geändert haben. In der stürmischen Vorzeit war es genau umgekehrt: Man musste sich rechtfertigen, wenn man nicht Farbe bekannte. „Bürger, lasst das Gaffen sein, / kommt herunter, reiht euch ein!“ 1968 ff. gab es haufenweise DKP-nahe Schriftsteller, die mit konspirativem Lächeln die DDR bereisten und einen rügten, wenn man nichts mit ihrem Schriftstellerverband zu tun haben wollte. Sie wetterten auf die imperialistische Bundesrepublik, weil die keine Beamten einstellen wollte, die für den Arbeiter-und-Bauern-Staat schwärmten. Man konnte die sozialistische Gschaftelhuberei dieser Kollegen nicht leicht kritisieren, weil das die Konservativen taten, mit denen man noch weniger zu tun haben wollte. Der politische Diskurs, der heute vermisst wird, war damals zum großen Teil irrational.
Wie anders Grass mit seinem Trommeln für die SPD. Er wurde in den späten 60er-Jahren von linkeren Leuten als Revisionist belächelt und von den Rechten als Ungeheuer angesehen, das die schöne Ordnung der Adenauerzeit zerstören will. Dabei war Grass nur realistisch und setzte auf Willi Brandt, und nicht einmal ein pechschwarzer Unionspolitiker würde heute gegen die Kanzlerschaft Brandts historische Einwände haben. Und es ist anzunehmen, dass auch jetzt in der Union Leute sitzen, die heilfroh sind, dass Schröder ein zweites Mal gewählt wurde und sich die rot-grüne Regierung nicht von den Amerikanern in den wahnsinnigen Irakkrieg ziehen ließ. Allein dafür würde ich einige Opfer in Kauf nehmen.
Opfer müssen offenbar sein. Die jetzige Regierung hatte die unangenehme Aufgabe, den Leuten klarzumachen, dass es ohne Opfer nicht geht. Kein Wunder, dass das auf die Stimmung drückt.
Die Schriftstellerin Eva Menasse, die sich ebenfalls dem Grass’schen Aufruf anschloss und ihre Gründe in der Süddeutschen Zeitung darlegte, musste sich ein paar Tage später in derselben Zeitung von ihrer Kollegin Tanja Dückers sagen lassen, wie einfallslos und langweilig und konservativ das Engagement jüngerer Schriftsteller für Rot-Grün sei, allenfalls bei älteren Kollegen nachvollziehbar. Keine Visionen, keine Utopien, nur aschgraues Hartz IV.
Woher sollen im Augenblick Visionen und Utopien kommen? Die einzig sichtbare Vision ist die des Herrn Kirchhof. Der Mann wird von Wirtschaftsjournalisten, die einst bis zum Börsensturz an das Wunder der New Economy glaubten, als „faszinierende Persönlichkeit“ empfunden. Man kann in ihm auch einen durchgedrehten Scharlatan sehen, einen bartlosen Rasputin, der von einer überforderten Angela Merkel als Wunderheiler angeheuert wurde.
Falls diese faszinierende Persönlichkeit je ihre Vorstellungen durchsetzen sollte, ist damit zu rechnen, dass die Sache wie im alten Russland mit Mord und Totschlag endet, denn irgendwann würde doch der eine oder andere Rentner oder Wenigverdiener den Kolossalbetrug kapieren und das große Messer zücken.
Heute wird politisches Engagement als uncool und peinlich empfunden. Und tatsächlich hat ja das Farbebekennen auch etwas Einseitiges und Treudoofes und Unsouveränes. Trotzdem ist es Unsinn, wenn Tanja Dückers in ihrer Polemik gegen das SPD-Engagement der Schriftsteller davon spricht, dass diese „in Reih und Glied“ hinter der Partei stünden. Davon kann keine Rede sein! Ein paar Poeten aller Generationen haben sich um den alten Grass geschart und versuchen, mit ihm den Karren anzuschieben, den die Regierung in den Sand gefahren hat. Ich nenne das Nachbarschaftshilfe in einer besonderen Notsituation. Hätte ich mich nicht dafür einspannen lassen, wäre ich mir vorgekommen wie ein Gaffer, der bei dem Versuch zusieht, wie andere sich abmühen. Unterlassene Hilfeleistung hätte ich mir vorgeworfen. Immerhin war es die SPD (Dieter Lattmann), die seinerzeit die Künstlersozialkasse erfand, die wenigstens meine Krankenkassenbeiträge als freier Autor auf einem erträglichen Maß hält.
Das hindert mich nicht, Gysi lieber zuzuhören als Schröder, der Linkspartei viele Stimmen zu wünschen und mich nach der Wahl eines Schröders an dem herumzumeckern. Die herzerfrischende Diskussion, ob und wie sich Autoren politisch einmischen sollten und wo der viel beschworene politische Diskurs der Intellektuellen geblieben ist, sollte besser auf die Zeit nach der Wahl verschoben werden. Aber nicht vergessen!
Man kann sich auf den Standpunkt von Christoph Schlingensief stellen, dass jetzt eben mal Schwarz-Gelb „vier Jahre den Arsch hinhalten“ soll. Ich würde Angela Merkel und ihr Kompetenzteam auch gern beim Arschhinhalten scheitern sehen. Schadenfroh ist man ja schon. Aber Merkel und Westerwelle zu verhindern ist mir dann doch die sympathischere Vorstellung. Lieber knirschend weiter mit Rot-Grün als die glatten Sprüche von Schwarz-Gelb.
Man schiebt nicht freudig in Reih und Glied und singt auch keine alten SPD-Parteilieder dabei. Es war ein geseufztes „Ja“, mit dem ich mich einspannen ließ. Die Neue Zürcher Zeitung hat sich letzte Woche über die Verdruckstheit des kleinen Häufleins der roten Wahlhelfer amüsiert, aber angesichts der wie immer austauschbaren Kampfparolen und des meist grotesk wirkenden kämpferischen Gestus des Parteipolitikers kommt mir eine gewisse Scheu angesichts einer Parteiunterstützung durchaus angebracht und notwendig vor.
Vielleicht ist das eine neue Möglichkeit: das stöhnende Engagement. Zähneknirschend mithelfen und, wenn der Laden wieder läuft, zurück an den Schreibtisch und boshaft aus dem Fenster oder in den Fernseher glotzen.