Verirrte Zeitmaschinen

GEBURTSTAGSSTÄNDCHEN Bei Nacht, Nebel und Nässe traten am Mittwoch Natasha Khan und Bat For Lashes im gut gefüllten Postbahnhof auf

Novemberwetter. Sprühregen, Nebel. Nass, dunkel und kalt. Es ist Mittwoch, der 28. Oktober, ihr Geburtstag ist drei Tage her. Das Wetter ist ein Geschenk, weil es zu ihrer Musik passt. Das Publikum im gut gefüllten Postbahnhof gibt ihr ein Ständchen, als zur Zugabe ein Fernseher auf die Bühne gerollt wird. Sie lächelt und gibt anschließend ein kurzes Duett mit ihrem virtuellen Ich. Ihr Name ist Natasha Khan. Sie wurde dreißig, was man ihr nicht ansieht. Der Name ihrer Band ist Bat For Lashes.

Bat For Lashes, was mehr mit Schlägen und Stöcken zu tun hat als mit einer Fledermaus, haben mit einer Download-Single angefangen und unverhofft zum Erfolg gefunden, das gute Debüt „Fur and Gold“, 2006 erschienen, wurde für den Mercury-Preis nominiert. Inzwischen ist die Band bei der EMI, und das zweite Album namens „Two Suns“ ist im April dieses Jahres erschienen. „Fur and Gold“ war eine Verheißung, „Two Suns“ nicht viel mehr als die Fortsetzung der Mittel. Noch so ein Album, und man kann von einer Masche sprechen. Dazu die Reminiszenzen an Anne Clarke; die Erwartung der von verirrten Zeitmaschinen verwirrten Zukunftsflüchtigen, es werde noch „Babooshka“ geben, „Cloudbusting“ und „Running up that Hill“. Die Angst derselben vor den dräuenden Björk-Eskapaden. Die Siouxsie-Momente mit tribalistischem Getrommel und Spinetteinsätzen; die Referenzen an Roberta Smith, deren Tochter die unwirkliche Schönheit Khan ja tatsächlich sein könnte.

Was sie aber nicht ist. Sie ist die Tochter eines pakistanischen Squashspielers. Allerdings muss sie sich in ihrer Kindheit nicht nur mit Fantasyromanen und Geistergeschichten, sondern auch mit fernöstlichen Esoteriken, englischen Schauerromanen und einer Menge Platten aus der New-Wave-Phase beschäftigt haben. Auf der Bühne trägt sie ein Kleid aus den Fünfzigerjahren, das angemessen schrullig aussieht. Lila Streulicht fällt auf die Bühne. Die Gitarristin bemüht sich um Posen, die Schlagzeugerin sorgt für die unumgänglichen Galeeren-Momente und der Keyboarder sieht mit seinem Zehn-Tage-Bart aus, wie ein attraktiver junger Mann heutzutage aussehen muss.

Was ihre Musik vor dem reinen Retro-Dasein rettet, ist einerseits die Bandbreite. Das Spiel mit elektronischen Elementen. Khans Fähigkeit, Songs zu schreiben, die mehr sind als neu zusammengesetzte Kopien. Die besten Songs heißen „Fur and Gold“, „Trophy“ und „Horse and I“, alle vom Debüt, und sind intensive dramatische Hymnen an das weibliche Empfinden, die selbst vor Worten wie „Desire“ keine Scheu haben. Das überwiegend weibliche, schwarz angehauchte Publikum jedenfalls ist sehr dankbar, denn trotz aller vermeintlichen Verkleidung und diesen Harry-Potter-Gerechtigkeiten bieten Khan und Band eine gute Show. Und Khan hat wirklich diese Stimme, leicht rauchig, gut variabel. Und sie sieht wirklich so aus. Und hat bei allem Ernst diese kindliche Art, auf der Bühne herumzuhüpfen. Und, obwohl sie jeden Song bestimmt schon zweihundertmal intonieren musste, man nimmt ihr immer noch jeden Ton ab.

Langweilig wird es immer dann, wenn sich eine Ballade aufbaut. Ob es vielleicht helfen könnte, in das Werk von Animal Collective zu hören? Von großmutigen Popentwürfen wie dem der Beach Boys ist Natasha Khan wohl noch eine halbjährige Medikation mit Prozac entfernt. Was echt was heißen sollte.

RENÉ HAMANN