: Hinter weißem Rauch versteckt
KONZERT Schwarze Masse in Ekstase: Dan Bodan und Trust traten am Samstag in der Kantine des Berghain auf
Kamin. Unverputzte Decken. Alte Lampen. Die Kantine des Berghain ist einer der schönsten Konzertorte in Berlin. Kein Wunder also, dass sich hier alle finden, die schwarz angezogene, teils bärtige, queere Menschenmenge. Sie sehen identisch aus, tanzen zu Remixen von Rihanna, Drake und Konsorten. Sie alle warten auf den Hauptakt Trust.
Die Synthiepop-Band aus Kanada, bestehend aus Robert Alfons und Maya Postepski (Mitglied der Band Austra), sind eine der gehyptesten Bands der Saison. Ein bisschen Crystal Castles (die andere Synthiepop-Band aus Kanada), ein bisschen Goth, ein bisschen Melodrama. Nach Mitternacht kommen Alfons und Postepski auf die Bühne. Keine Begrüßung. Es geht direkt mit dem Konzert los. Der Beat beginnt, Robert Alfons hüpft hin und her, haucht in sein Mikrofon. Die schwarze Masse schreit, tanzt, befindet sich in Ekstase.
Die Musik von Trust ist originell, rau und anders. Das wusste man schon von ihrem auf dem Indielabel „Arts & Crafts“ veröffentlichten Debütalbum „Trst“. Und auch live bleibt die Musik tanzbar. Es fehlt jedoch an Variation, ein Lied jagt das nächste – wie von CD. Ohne Pause, ohne Interaktion mit dem Publikum. Alfons schwitzt, hüpft weiter hin und her, verliert sich in seiner Musik, als ob er nur für sich selbst auf der Bühne stehen würde. Ohne großes Brimborium spielen Trust ihre Hits wie „Bulbform“ und „Dressed For Space“.
Weißer Rauch, bunte LED-Leuchten, es bleibt nur ein Schatten des Trust-Sängers. Es geht nicht um die Band, die Musik soll in den Vordergrund – das ist erfrischend uneitel. Allerdings ist Alfons nicht der beste Sänger – das ist trotz extrem manipuliertem Gesang spürbar. Er scheint sich hinter dem weißen Rauch zu verstecken. Das Publikum stört sich nicht daran. Als eine Frau, ein Mann, wer weiß das an diesem Abend so genau, auf die Bühne stürmt und tanzt, stört das Alfons nicht. Er bleibt in seiner eigenen Welt.
Die wirkliche Überraschung an diesem Abend ist nicht der Hauptakt, sondern Dan Bodan. Der schmächtige, blonde, junge Sänger steht in seiner übergroßen weißen Jacke und obligatorischer Baseballcap auf der Bühne. Neben ihm am Macbook ein komplett in Weiß gekleideter junger Mann. Der in Berlin lebende Dan Bodan spielt vor Trust, und auch er hüpft mit beginnender Musik sanft hin und her. Bodans Stimme ist glasklar. Seine Musik berührt, seine Lieder sind voller Poesie und handeln von verpassten Gelegenheiten, Raveparties und Post-Beziehungen. Seine Referenzen sind die siebziger, achtziger und vor allem die neunziger Jahre. Der Mann neben ihm bedient den Computer und ist gleichzeitig Tänzer. Er zieht sich aus, steht mit freiem Oberkörper auf der kleinen Bühne. Die Hüpferei auf der Bühne, die Outfits und das Ausziehen sind Kontraste zu Bodans Musik. Ironie? Vielleicht. Manchmal wirkt es störend und lenkt den Fokus von Bodans Gesang ab. Der letzte Song von Bodans Set ist ein Cover von Billy Holidays „Don’t Explain“ – und hier ist nicht nur die Auswahl ungewöhnlich gut, sondern hier beweist Bodan auch, was für ein großer Sänger er ist. Die schwarze Masse dankt es ihm zum Abschied. ENRICO IPPOLITO