Detlef Kuhlbrodt Ausgehen und rumstehen: Die Geschichte mit dem Handy und Tchibo
Das mit dem Handy war dann auch wieder so eine Geschichte. M. hatte seine Geheimnummer vergessen. Das Guthaben war wohl alle. Das Handy war auf seine Freundin angemeldet. Die Freundin war Anfang des Jahres gestorben, und es wäre – grad in dem Gesundheitszustand – zu aufwendig gewesen, die PUK herauszukriegen. Ein Internet gab es in seiner Wohnung auch nicht. Besonders schlau bin ich in solchen Sachen auch nicht. Es war Nachmittag. Er lag in seinem Bett. Am nächsten Vormittag sollte es in die Klinik nach Birkenwerder gehen. Er sagte, ich (also in dem Falle ich) kaufe einfach ein Handy für einen Euro. Dann hab ich wieder Telefon. Ich antwortete, das geht doch nicht, diese Simkarte ist doch die eigentliche Verbindung zur Außenwelt, und außerdem hast du doch gar keinen Ausweis. So stritten wir eine Weile.
Dann ging ich zu Tchibo, weil das bestimmt billiger ist als die anderen und kaufte so ein Prepaid-Teil, und am Vormittag hatte er mich so nervös gemacht mit seinem „Du kriegst das doch sowieso nicht hin“ und „Ich will jetzt los“, dass ich es tatsächlich nicht hinkriegte. Ohne mehr mitzunehmen als seine Krankenakten fuhr er mit dem Taxi nach Birkenwerder, während ich zu Hause die Handy-Simkarte fand – sie war in der Brieftasche – und dann einsetzte.
Superwochenende! Am Vormittag kaufte ich ein neues Aufladeteil. Am Südstern begegnet mir C. Das heißt, ich gehe in Gedanken an ihr vorbei, und sie ruft mir hinterher, und ich komme zurück und sage Hallo. Ich bin kurz verwirrt, weil C. (die ich vor Jahren zuletzt gesehen hatte) viel dünner aussieht, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie stellt mir ihren Freund vor. Ich sage: „Aber du siehst ja so dünn aus.“ Sie schaut verwundert. Mir ist das ein bisschen peinlich, weil ich C. offensichtlich verwechselt hatte, andererseits komme ich mir aber auch vor wie Andy Warhol, der bekanntlich bei seinem einzigen Treffen mit David Bowie nur einen Satz gesagt hatte: „Sie haben so schöne Schuhe.“
Am Nachmittag lese ich in dem Buch „Berlin – Stadt der Revolte“ von Michael Sontheimer und Peter Wensierski und denke dabei an die 68er-Bildbände, die ich als Teenager gelesen hatte. Der Haupteffekt der 68er auf die nachfolgenden Generationen war, glaube, ich eine Mischung aus Identifikation und Neid wegen der schönen Abenteuer, die sie erlebt hatten, und vor zwanzig Jahren fand man „die 68er“ wieder prima, weil die 30-Jahre-68-Veranstaltung im Tempodrom so komplett peinlich und danebengegangen war.
In dem Buch geht es um ein „Revolte-Gen“ und es gibt auch lustige Zitate: „Drüben wollen sie ein Viererverhältnis aufbauen. Dagmar, Volker, Ulrich, Dagrun. Mein Argument lächerlich, da die vier nicht sie selbst sind“, heißt es in einem Protokoll der K1, und eine der Parolen der „umherschweifenden Haschrebellen“ lautet: „Alles, was ihr seht, und es gefällt euch nicht: Macht es kaputt.“
Am Sonntagvormittag geht es nach Birkenwerder. M. schnarcht in seinem Einzelzimmer. Ich lege ihm sein Handy mit eingebauter Tchibo-Karte auf den Nachttisch und fahre dann wieder heim.
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