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Archiv-Artikel

Wo Jesse Owens sich nach seinen Siegen erholte

In Elstal, wenige Kilometer westlich Berlin, bestaunten am Tag der offenen Tür 20.000 Besucher eine Ruinenlandschaft. Hier waren die männlichen Athleten der Olympischen Sommerspiele von 1936 untergebracht. Die Nazis inszenierten eine Idylle. Später nutzte die Wehrmacht das Gelände

VON TOM WOLF

Das Gebäude gleicht im Grundriss einem riesigen Auge, seine geschwungene abgestufte Abbruchfassade blickt trotz sichtlichen Verfalls noch imposant aus der Wäsche. Wohl deshalb wuseln 20.000 begeisterte Besucher in Elstal, wenige Kilometer westlich Berlins, durch diese kuriose Ruinenlandschaft. Ihr Interesse gilt den etwas ausgefalleneren Relikten der Olympischen Sommerspiele in Berlin 1936, den Überbleibseln des einstigen olympischen Dorfes.

Seit 2000 gehört das Gelände der Deutschen Kreditbank AG (DKB), einer 100-prozentigen Tochter der Bayerischen Landesbank. Sie will den architektonischen Gruselpark wiederbeleben. Zwischen 1933 und 1936 wurde die Anlage gebaut. Schon damals mit dem Leitgedanken einer militärischen Nachnutzung durch die Wehrmacht – ab 1935 wurde das Areal tatsächlich auch durch die Armee genutzt.

Auf die Frage, warum man dennoch gerade diese Anlage „wieder erstehen“ lassen wolle, verweist Martin Honerla, Vorstand der „Stiftung für gesellschaftliches Engagement“ der DKB, leicht tautologisch auf die „Erhaltenswürdigkeit der historisch einmaligen Gebäude“ – und auf das generelle Engagement der DKB für den Sport. Man könne sich vielerlei vorstellen, etwa eine Nutzung des einstigen „Speisehauses der Nationen“ als 4-Sterne-Hotel. Die Rudimente der Sportübungsstätten (Sportplatz, Sporthalle, Schwimmhalle) böten vielfältigen Sportevents Raum. Die ehemaligen Wohnhäuser – etwa das Haus, in dem die Olympia-Legende Jesse Owens einst wohnte – könnten musealen Zwecken dienen. In Zusammenarbeit mit der Heinz-Sielmann-Stiftung, der seit 2004 der größte Teil der Döberitzer Heide gehört, sei über einen „Evolutionspark“ nachzudenken. sagt Honerla. Auf lange Sicht setze man auf „traffic“ – also zahlenden Publikumsverkehr.

Die DKB ist sich der unheiligen historischen Hypothek, die auf dem Gelände lastet, wohl bewusst und will durchaus nicht, dass der Ort zum Mekka der Ewiggestrigen wird. Ob dies gelingen kann? Olympia 1936 ist ein bis heute nachwirkender NS-Propagandaschachzug. Nazideutschland zeigte die Schokoseite: olympische Großbauten und einen scheinbar tolerant gewordenen Diktator, der sich auf der Tribüne des Olympiastadions mitfiebernd das Knie rieb und auf die Schenkel klatschte. Leni Riefenstahls Olympia-Filme fixierten das Trugbild.

Das olympische Dorf, um das sich die DKB nun so bemüht, spielte eine zentrale Rolle in dieser politisch-ästhetischen Inszenierung. Im zweiten Teil von Riefenstahls Olympia-Film lieferte der Ort die idyllische Eingangssequenz: Waldläufer in märkischer Natur, Störche und saunende Finnen am Waldsee, Athleten im Liegestuhl; sogar ein Känguru (Maskottchen der Australier) ist zu sehen, das übers Gelände springt.

Die rund 3.500 männlichen Olympioniken und ihr Tross von Betreuern sollten unvergessliche Eindrücke in ihre 50 Heimatländer mitnehmen. Der Komfort im „Dorf“, freundliche Wehrmachts-Stewards, die optimalen Übungsbedingungen verfehlten ihre Wirkung oft nicht. Der offizielle Dorf-Führer sagte es klar: „Die Sportsleute der Welt werden als Gäste der jungen, sportlichen deutschen Wehrmacht Geist und Haltung des neuen Deutschland kennen lernen.“

Nicht alle waren jedoch von diesem Kennenlernen so begeistert. Ein estländischer Beobachter schrieb in der Zeitung Päevaleth: „Das mit einem Stacheldrahtzaun umgebene olympische Dorf vermittelt den Eindruck eines Konzentrationslagers. Der militärische Geist, welcher dem deutschen Menschen bis ins Mark gedrungen ist, überschwemmt das olympische Unternehmen.“

Heute grasen an der einstigen NS-Thingstätte die Schafe. Von der erhöht gelegenen historischen „Saftbar“ des olympischen Dorfes verfolgten die Besucher am Tag der offenen Tür den spannenden Abschiedskugelstoßwettkampf von Ex-Olympionikin Astrid Kumbernuss. Frauen im olympischen Dorf? 1936 war das verboten. Ach, hätte der Führer den Tag der offenen Tür nur erleben dürfen – es hätte ihn schier der Schlag getroffen.