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Eiertanz um Eigensucht

Schlüsselwerk des radikalen Individualismus: Johan Simons bringt in Hamburg „The Fountainhead“ von Ayn Rand auf die Bühne – als mäßig gelungenen Charaktermaskenball

Von Robert Matthies

Am Ende sprudelt es noch mal kräftig heraus aus dem „Fountainhead“, dem „ewigen Quell“: Da hockt der Architekt Howard Roark (Jens Harzer) am Bühnenrand und mansplaint seiner Geliebten Dominique Francon (Marina Galic) lang und breit, was ihn – und damit die ganze Welt – im Innersten zusammenhält. Ein ganzes Manifest lässt Ayn Rand den Helden ihres 1943 erschienenen zweiten Romans „The Fountainhead“ deklamieren. Diesen bringt Johan Simons nun, in einer Bearbeitung von Koen Tachelet, am Hamburger Thalia-Theater erstmals auf eine deutschsprachige Bühne.

Derjenige, der einst das Feuer erfunden habe, erklärt Roark und streicht sich affektiert die strähnigen Geniehaare aus der Stirn, sei wahrscheinlich von den anderen sofort auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden; denjenigen, der das Rad erfunden habe, hätten seine Mitmenschen wahrscheinlich noch im selben Moment auf eben jenes Gestell geflochten: Als Überschreiter von Grenzen zu unbekannten Territorien seien solche unerschrockenen Schöpfermenschen seit Menschengedenken wie feindliche Aufrührer behandelt worden, behauptet der Schöpfermensch.

Dabei seien die, die kompromisslos Grenzen überschritten und ihre Träume verwirklichten, doch die wahren Menschenfreunde, die einzigen wirklich tugendhaft Handelnden: Den Weg ins Licht gewiesen, Horizonte eröffnet hätten sie der Menschheit, so Roark. Und das nicht etwa, weil sie selbstlos wären. Sondern, im Gegenteil: weil sie einzig aus sich selbst heraus motiviert seien, und ganz allein aus sich selbst heraus erzeugt. Nichts und niemandem dienen demnach diese rücksichtslosen Heldenfiguren, zum Quell aller menschlichen Energie erklärt Rands Protagonist sie, weil sie ganz rational egozentrisch handelten und niemandem etwas schuldig seien.

Und die restliche Menschheit? Das sind für den da Redenden keine „Prime Mover“, sondern bloß „Second Hander“, die lediglich vorgeben, anderen oder gleich der ganzen Gesellschaft zu dienen. Dabei strebten sie doch auch nur an, diese anderen zu erniedrigen und mit Schuldgefühlen in Ketten zu legen. Sämtlich seien die Gräueltaten der Geschichte altruistisch begründet worden, im Namen von Religionen oder Ideologien, von Mildtätigkeit und Wohlfahrtsstaat. Unternehmer-Übermenschen gegen Parasiten und die Diktatur der Mittelmäßigkeit: So geht es noch Minuten lang weiter.

Aber da hört dem eitlen Proto-Neoliberalen schon gar niemand mehr zu. Die Geliebte veralbert sein Pathos, hält ihm eine Jazzplatte über den Kopf wie einen Heiligenschein, legt sie auf und dreht den Plattenteller hin und her – immer dieselbe Leier. Und endlich fällt auch dem selbstverliebten Schöpferkopf nichts mehr ein.

Was für eine Labertasche, was für eine Witzfigur: So lässt Simons seine vierstündige Inszenierung in ironischer, aber letztlich doch unentschieden wirkender Distanzierung zur kruden Gedankenwelt Ayn Rands abschmelzen; so wie die Eisplatten, die Bühnenbildner Stéphane Laimé vier Stunden im Bühnenhintergrund schmelzen lässt, bis sie nach und nach krachend auf den Boden fallen.

Mit ihrem radikalen Individualismus ist Ayn Rand hierzulande mäßig bekannt. Als Kind hatte die russische Jüdin Oktoberrevolution und Enteignung der Eltern miterlebt und wanderte 1926, angewidert von allem Kollektivistischen, in die USA aus. Dort wurde sie zur zentralen Stichwortgeberin der Marktradikalen und Libertären. Die Tea-Party-Bewegung, etliche Silicon-Valley-Gründerhelden, auch Teile der Alt-Right-Bewegung sind von ihrem Denken inspiriert. Vor allem Rands 1957 erschienener dritter und letzter Roman „Atlas Shrugged gilt heute in den USA als eines der einflussreichsten politischen Bücher des 20. Jahrhunderts: Als die Library of Congress ihre Leser*innen im Jahr 2005 fragte, welches Buch ihr Leben verändert habe, landete „Atlas Shrugged“ auf Platz zwei – hinter der Bibel.

Auf europäischem Theaterboden aber, das scheint Simons jetzt sagen zu wollen, kann Rands Pseudo-Philosophie nur wie die zerschellenden Eisplatten eine Bruchlandung machen. Vor sieben Jahren hatten sich in Berlin bereits Tom Kühnel und Jürgen Kuttner im Stück „Capitalista, Baby!“ auf der Grundlage von „Fountainhead“ mit Rands Radikalindividualismus auseinandergesetzt. Und wie damals Kühnel und Kuttner, setzt nun Simons ganz darauf, die Ideologie durch Überaffirmierung und Ironisierung vorzuführen – und geht ihr damit letztlich auf den Leim.

Die Befassung mit Rand verspricht Einblicke in das, was derzeit die US-Gesellschaft um- und auseinandertreibt

Dabei verspricht eine Auseinandersetzung mit Rands Einfluss durchaus Einblicke in das, was die US-Gesellschaft derzeit um- und auseinandertreibt. Vom historischen Kontext, von der Wirkungsgeschichte der Eisernen Lady des Laissez-faire-Kapitalismus, von den Diskussionen über die Unhaltbarkeit ihrer Thesen, die die philosophische Fachwelt wegen logischer Fehler und anderer Mängel partout nicht Philosophie nennen wollte: Von alldem erfährt man bei Simons nichts. Auch nicht vom im Stück herumgeisternden Frauenbild, in dem die Feministin Susan Brownmiller gar eine „Philosophie der Vergewaltigung“ entdeckt hat.

Stattdessen verlässt sich der Niederländer ganz auf sein Geschick als Geschichtenerzähler und ein starkes Ensemble. Und die schon im Roman ziemlich ungelenk konstruiert wirkende Geschichte vom Architekten-Künstler Roark und seinen Gegenspielern bringen Simons und seine Schauspieler*innen tatsächlich überzeugend und kurzweilig auf die Bühne. Die hat Stéphane Laimé karg und geometrisch eingerichtet, architektonisch eben: In der Mitte auf einem großen Podest-Fundament ein weiteres Podest aus Plexiglastischen, im Hintergrund das eiserne Eisgitter. Auf und um die Podeste herum steht, sitzt, liegt, tänzelt, doziert, streitet, hasst und liebt sich das Personal von Rands Charaktermaskenball.

Jörg Pohl gibt den an seiner Mittelmäßigkeit scheiternden Konkurrenten Peter Keating wunderbar nuancenreich als immer weinerlicher werdendes Muttersöhnchen. Sebastian Rudolph schafft es, dem skrupellosen Medientycoon Gail Wy­nand eine überraschend ambivalente Menschlichkeit zu geben. Thilo Werner spielt den Architekturkritiker und Altruisten-Anführer Ellsworth Toohey als tapferen Kämpfer, Marina Galic die exzentrische, von allen begehrten und als Geliebte geteilte Schönheit Dominique Francon überzeugend als unterkühlte und zugleich verletzlich wirkende Femme fatale.

Dass die Figuren trotz aller bemerkenswerten Schauspielkunst doch nur Karikaturen bleiben, mag man ihnen gar nicht übel nehmen: Schon das Personal der Vorlage besteht ja einzig aus stereotypen Abziehbildern; Hüllen, die Rand mit nach Objektivismus schmeckendem Moralin füllt. Einen ganzen Theaterabend damit zu füllen, das gelingt in Hamburg nicht.

Nächste Vorstellungen: Sa, 5. 5., 15 Uhr; 17., 22. + 23. 5., 19 Uhr, Hamburg, Thalia-Theater

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