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Archiv-Artikel

Diva für einen Moment

POSEN Die Künstlerin Jacqueline Doyen beschäftigt sich mit dem menschlichen Körper oder dem architektonischen Objekt, um hinter deren offensichtlichem Auftritt die unterschwelligen Aussagen zu zeigen. Derzeit sind ihre Arbeiten in Wolfsburg zu sehen

Die Arbeiten sind in ihrer Flüchtigkeit gewitzt und visuell eindringlich

Ein hohes Stahlgestell steht im Kunstverein Wolfsburg, es erinnert an einen medizinischen Untersuchungsstuhl. Das Stahlgestell kann einen Menschen tragen, es funktioniert gewissermaßen als Liegestuhl. Wenn sich eine Person niederlässt, nimmt sie unweigerlich jene Körperpose ein, die die Schauspielerin Faye Dunaway einnahm, als sie sich im Jahr 1977 nach der Nacht der Oskar-Preisverleihung in ihrem Liegestuhl an ihrem Pool in Beverly Hills niederließ. Überliefert ist die Szenerie dank eines Pressefotos: Die Trophäe steht auf dem Tisch, die aktuelle Presse liegt malerisch verstreut auf dem Boden. Fotograf Terry O’Neill erfasste damit Dunaways fragilen Glamour und bezeichnete das Foto als sein bestes je gemachtes.

Das Gestell im Kunstverein Wolfsburg stammt von der französischen Künstlerin Jacqueline Doyen Doyens und ist das physische Nachbild der Botschaft dieses Fotos. Mit Hilfe des Gestells kann jeder fiktional in die Rolle der Schauspielerin schlüpfen – und würde doch nur eine sinnentleerte, erfrorene und wohl lächerliche Geste darbieten.

Mit weniger körperlich okkupierenden Methoden geht Doyen in Fotoserien der Gestik internationaler Personen der Zeitgeschichte nach. Eine Serie heißt „Die Ausarbeitung der Spontaneität“ – ein Widerspruch in sich selbst – und zeigt von Hillary Clinton bis zu Braunschweigs OB Gerd Hoffmann die bewusst eingesetzte Sprache ihrer Hände.

Doyen sammelte dafür Pressefotos, stellte ihre Protagonisten frei und bildete Reihen exemplarischer Gebärdensprache. Die theatralische Heilandsbotschaft, vom Papst bis zu Cristina Kirchner beispielsweise, ein- oder beidhändige Fingerzeige, das versichernde „Einrahmen“ eines wohl umso unergründlicheren Sachverhaltes werden als kalkulierte Stereotype dekuvriert.

In einer ihrer weiteren Archivreihen collagiert Doyen isolierte Arme, Hände, Beine zu ganz neuen Zeichensprachen. Oder sie überblendet in einem stark vergrößerten Pressefoto das Gesicht der zentralen weiblichen Hauptfigur. Trotzdem kann jeder die Szene deuten, erkennt die drei Abgebildeten, weiß vielleicht auch um ihre persönlichen Verstrickungen. Diese Arbeiten Doyens sind in ihrer Flüchtigkeit gewitzt, visuell eindringlich, intellektuell anregend.

Im Jahr 2011 kann die 1978 im Elsass geborene Französin Jacqueline Doyen in den Genuss eines einjährigen New-York-Stipendiums, das seit 1999 vom Kulturministerium des Landes Niedersachsen an einen herausragenden Nachwuchskünstler vergeben wird. Doyen hatte zwischen 2001 und 2005 an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig studiert, war dort Meisterschülerin bei dem Schweizer Objektkünstler John M. Armleder. Mittlerweile lebt Doyen in Berlin.

Ihre neueren, raumgreifenden Objekte zu architektonischen Themen sind Ausbeute des New-York-Stipendiums. Bedauerlich ist, dass sie nicht die konzeptionelle Qualität früherer Arbeiten aufweisen. Das auf der Park Avenue entdeckte Seagram Building Mies van der Rohes in einen dekorativen Paravent zu überführen, um einen vermeintlichen Konflikt zwischen Tragstruktur und Fassadenbild des Bauwerks darzustellen, bleibt dürftig. Und die im Stadtbild präsenten Riffelblechplatten zu glitzernd stereometrischen Grundkörpern zu verarbeiten, ist Kunstgewerbe. Man hätte sich einen substantielleren Blick hinter New Yorks sowohl verführerische als auch raue Oberflächen gewünscht. BETTINA MARIA BROSOWSKY

Jacqueline Doyen, „Eclipse“: Noch bis 4. November im Kunstverein Wolfsburg; anschließend vom 17. November bis 27. Januar im Kunstverein Lingen