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Bürger, Revoluzzer und Roboter

Rolando Villazón hat an der Deutschen Oper Berlin die Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß neu inszeniert. Der Wiener Schmäh wird zum galaktischen Welttheater

Von Niklaus Hablützel

Wien ist nicht die Welt, jedenfalls nicht für Rolando Villazón, den in Mexiko geborenen Tenor, der schon immer mehr konnte als nur schön singen. Heute schreibt er Romane, moderiert Radiosendungen, gibt den Clown im Fernsehen und führt Regie, in Lyon, Wien, Baden-Baden, Düsseldorf und nun schon zum zweiten Mal in Berlin an der Deutschen Oper. Vor drei Jahren verzauberte er hier sein Publikum mit einer klug durchdachten Interpretation der vergessenen Oper „La Rondine“ von Giacomo Puccini. Jetzt ist er zurückgekehrt mit seiner Version der vermutlich populärsten Sammlung ewiger Ohrwürmer, der „Fledermaus“ von Johann Strauß.

Schon bei Puccini ging es Villazón um die verborgene Substanz eines vordergründig banalen Stücks. Und jetzt muss die brave Fledermaus sogar zum universalen Welttheater der Bürgerlichkeit im Weltraum ausufern. Ein bloßer Champagnerkater aus Wien wäre ihm offenbar zu wenig gewesen. Er holt seinen Strauß nur dort ab, wo wir ihn kennengelernt haben.

Der erste Akt spielt im Salon des Bürgers Gabriel von Eisenstein und seiner Gattin Rosalinde. Biedermeierliche Tapeten und Möbel sind zu sehen, aber noch bevor mit der Kammerzofe Adele das Personal die Szene seiner guten alten Zeit betreten darf, muss Murnaus Nosferatu das Feuer im Kamin anzünden, um uns zu warnen. Die düsteren Bilder des Expressionismus der 20er Jahre stehen bevor. Im komfortablen Wohnzimmer der Bürger werden wir nicht lange bleiben, und was dort geschieht, ist deshalb etwas ungelenk und grob geschnitzt geraten.

Überzogene Filmgesten ersetzen den Charme des intimen Kammerspiels von aufbegehrender Zofe, frustrierter Ehefrau und ihrem Mann, dem Schürzenjäger. Dass der nun auch noch ins Gefängnis muss, ist bei Villazón nur ein ziemlich dummer Plot, der halt so im Textbuch steht. „O je, o je, wie rührt mich das?“ Es lässt kalt, zumal der von Strauß so genial auskomponierte, bruchlose Übergang vom Gefühl zur Lüge auch noch optisch durch eine Lichtregie zerrissen wird, in der die Ambivalenz der Personen in statische Fotoporträts eingefroren wird.

Ein wenig schade ist das schon, aber alsbald dreht sich die Bühne von Johannes Leiacker weiter zum nächsten Bild. Wir sind jetzt im Bunker des realen Sozialismus und im geteilten Berlin der siebziger Jahre. Prinz Orlowski ruft in der Uniform eines Generals der Volksarmee die Diktatur des Champagners aus, maoistische Rotgardisten, Studenten, Kommunarden und sexuelle Fetischisten aus Westberlin sind gleichermaßen begeistert, und alles endet im großen Rausch des Walzers „Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein, dui, dui duu“. Der Schlagersuff wird zur wunderbaren Satire auf die Parolen der internationalen Solidarität jener Zeit. Ausbuchstabiert in tausend kleinen, parodistischen Szenen kehrt sie zurück und der alte Johann Strauß darf darin zu seiner vollen Größe aufwachsen.

Donnald Runnicles lässt mit souveräner Gelassenheit auch die Polkas und Galoppmärsche in die neue Zeit reisen, der Chor hält das größte Chaos auf der Bühne zusammen, und Thomas Blondelle (Eisenstein), Anette Dasch (Rosalinde), Angela Brower (Orlowski), Meechot Marrero (Adele), Markus Brück (Gefängnisdirektor) und Thomas Lehmann (Dr. Falke) singen frei und hörbar glücklich darüber, dass sie den Rollenklischees unter der Anleitung ihres Kollegen Villazón entkommen dürfen. So viel theatralische und musikalische Energie hat sich dabei aufgeladen, dass die Erde am Ende dafür viel zu klein ist. Leiackers drittes Bild zeigt ein Raumschiff, das etwa so schrottreif vergammelt ist wie in Tarkowskis „Solaris“. Und wie dort treiben sich lauter gescheiterte Existenzen herum. Markus Brück kann nun sein enormes Talent als Komiker genießen. Er spielt den Gefängnisdirektor, der sich mit seinem Frosch, dem Aufseher, herumärgern muss.

Aus Rolando Villazón, dem Startenor, ist ein Regisseur geworden, wie es vielleicht keinen zweiten gibt

Diese lange Sprechrolle war schon immer das Problem der „Fledermaus“. Der Text ist nicht festgelegt, Hans Mosers Improvisationen sind Legende. Villazón sucht darin das Finale maximaler Größe, das es nur im Kino geben kann. Florian Teichtmeister, nun wirklich aus Wien ausgeliehen, nämlich vom Theater in der Josefstadt, muss den Frosch als „Sonny“ spielen, den Androiden mit Gefühlen, die er nicht haben darf, aus dem Film „I Robot“ von Alex Proyas. Die Affen aus Stanley Kubricks „2001“ traben vorbei und natürlich donnert dazu „Zarathustra“ des anderen großen Strauß, Richard, aus dem Orchester.

Das übrige Personal der „Fledermaus“ wird nach und nach mit allerlei Slapsticks hochgebeamt, die Wirrungen lösen sich auf, und der wie im Film sterbende Roboter darf Villazóns persönliche Botschaft an die Bürger der Erde aussprechen: Was macht ihr mit eurer Freiheit? Ihr betrügt und lügt.

Eigentlich ist das viel zu gigantisch für eine Operette. Aber aus Rolando Villazón, dem Startenor, ist ein Regisseur geworden, wie es vielleicht keinen zweiten gibt: ein Sänger, der das ganze Theater zu seiner Stimme machen kann, in großer Besetzung, Bühne und Tiefe. Dazu gehören Mut zu Experimenten und Stilbrüchen, Können, echte Liebe und Verständnis für die Kunst. Die paar Buhs, die er am Ende zu hören bekam, gehören nun mal dazu. Er hat danach einfach seine rote Clownsnase aufgesetzt. Bravo!

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