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„Kunst hat eine Mission“

Das „Krass Kultur Crash Festival“ beschäftigt sich mit Inszenierungen von Widerstand. Der Festivalleiter Branko Šimić über Kunst, Verantwortung und politische Radikalisierungen

Weil auf der Bühne Kreuze zersägt werden, wurde Oliver Frljićs Stück „Der Fluch“ in Polen zum Skandal Foto: Magda Hueckel

Interview Robert Matthies

taz: Herr Šimić, Ihr Festival beschäftigt sich dieses Jahr mit Inszenierungen von Widerstand. Muss Kunst widerständig und politisch sein?

Branko Šimić: Ich bin überzeugt, dass Kunst eine moralische Aufgabe hat, eine Mission: Sie muss aufklären und humanisieren. Wir brauchen heute mehr denn je radikale künstlerische Entwürfe, um mit den gesellschaftlichen Bedingungen auf einem Level zu sein. Weil die politische Welt sich in den vergangenen Jahren ebenfalls radikalisiert hat. Es ist wichtig, dass wir dagegen eine Plattform verteidigen, wo kritische Stimmen ihren Platz finden, wo Menschen, die mehrere Identitäten in sich tragen, nicht ausgegrenzt werden.

Was meinen Sie mit Radikalisierung der politischen Welt?

Die Rückkehr von Konservatismus und Nationalismus hat die politischen Apparate in vielen Ländern in Europa, aber auch im Iran oder der Türkei, in den vergangenen Jahren stark deformiert. Damit meine ich, dass Mechanismen verschwunden sind, die diese Apparate humaner und toleranter machen, die Regime sind willkürlicher geworden. Deshalb stoßen Künstlerinnen und Künstler, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, zunehmend auf Widerstand und Grenzen.

Wie sieht dieser Widerstand aus?

Die Kunst wird von staatlichen Apparaten kontrolliert, die kritische Kunstwerke zunehmend als echte Gefahr sehen. In Ungarn zum Beispiel gab es eine sehr vitale freie Theater- und Performance-Szene, die mit der Orbán-Regierung mit einem Schlag weggefegt wurde. Die Mechanismen dafür sind sehr einfach, weil Kunst von staatlichen Institutionen abhängig ist. Wenn die den Geldhahn zudrehen, ist ganz schnell alles vorbei. In Russland, in Polen, in den Balkanländern oder der Türkei ist es ähnlich.

Politik wird ja auch inszeniert und arbeitet mit Fiktionen. Wo liegt der Unterschied zwischen inszenierter Politik und politischer Kunst?

Inszenierung in der Politik ist eine Manipulation, die an der Oberfläche bleibt, Theater ist eine komplexe Kunst. Wir beschäftigen uns mit politischen Systemen und gesellschaftlichen Problemen, aber auch mit Psychologie, Emotionen, Materialien und Räumen. Diese Komplexität hat das Theatrale in der Politik nicht. Politische Inszenierung zeigt immer dasselbe.

Drei der Künstler*innen, die Sie diesmal eingeladen haben, hat es hart getroffen.

Sie wurden für ihre Kunst hart bestraft. Pussy Riot saßen im Gefängnis, der iranische Rapper Shahin Najafi bekommt seit einer Fatwa Todesdrohungen. Und was Oliver Frljić passiert ist, der im vergangenen Jahr mit seinem Stück „Unsere Gewalt und eure Gewalt“ beim Festival zu sehen war und diesmal mit seinem neuen Stück „Klątwa“ – „Der Fluch“ – zu Gast ist, ist auch unglaublich.

Foto: Arash Marandi

Branko Šimić, 49, geboren im bosnischen Tuzla, ist Schauspieler und Regisseur. Seit 2012 leitet er das Festival „Krass“.

Was ist denn passiert?

Vor Aufführungen des Stücks im Warschauer Teatr Powszechny protestierten regelmäßig Nationalisten und Konservative, hinderten das Publikum, ins Theater zu gehen. Schauspieler wurden bedroht und vor einem Jahr spritzte eine Gruppe Buttersäure ins Theater, um die Aufführung zu verhindern. Es gab Verletzte. Nach Weihnachten gab es erneut einen Anschlag auf das Theater.

In Ihrem neuen Stück „Protest Portraits“, mit dem Sie Ihr Festival eröffnen, porträtieren Sie diese drei Künstlerinnen und Künstler.

Ich beschäftige mich seit Jahren mit Porträts, finde es interessant, sie performativ umzusetzen, um in einen poetischen, engagierten, politischen Raum zu kommen. Die Idee ist, nicht nur ihre Projekte zu zeigen, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler selbst. Was sind das für Menschen? Diesen Künstlerinnen und Künstlern wird vorgeworfen, Provokateure zu sein, aber ich habe sie als intelligente und übrigens sehr nette Menschen kennengelernt, die das Bedürfnis haben, sich mit dem bewusst auseinanderzusetzen, was sie deformiert.

Festival: Do, 3. 5., bis So, 13. 5., Kampnagel. „Protest Portraits“: Do, 3. 5., bis Sa, 5. 5., 20 Uhr

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