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Archiv-Artikel

Flammend im Arsenal

HEROEN Maximal antikapitalistischer Umgang mit Zeit: In HAU und Arsenal läuft ein Festival zur Queer- und Camp-Ikone Jack Smith

VON PATRICIA VETTER

Ein hagerer Mann, geschmückt mit einer Federkreation auf dem Kopf, steht vor dem Affenkäfig im Kölner Zoo und berichtet den Tieren von einem riesigen Verbrechen: Kunst wird als Ware gehandelt! Und in Museen gesperrt! Einige Sekunden später steht derselbe Mann vor der Kölner Kunsthalle und fordert laut: „Warum zeigen sie darin nicht etwas Interessantes und lassen das Museum mit freiem Eintritt bis fünf Uhr morgens geöffnet?“

Tatsächlich: Als am Mittwoch das Festival „Jack Smith! Live Film! – Five Flaming Days in a Rented World“ im Berliner Arsenal-Kino startete, ging es gleich zur Sache. Mit dem 10-minütigen Film „Kino ’74: Jack Smith“, der eine Performance des Künstlers in Köln dokumentiert und 1974 von Birgit Hein für den WDR gedreht wurde, stieg man direkt ein in Smiths politisches Programm, in seine Kapitalismuskritik, die der Amerikaner in eine chaotische und doch bestimmte queere Müll- und Kitsch-Ästhetik zu wanden wusste.

Smith, der 1989 in New York an den Folgen von Aids starb, gilt als Ideengeber Warhols, als Vordenker des Theatre of the Ridiculous, als Camp- und Queer-Ikone. Susan Sontag verteidigte seinen Film „Flaming Creatures“, als er 1964 verboten wurde. Smith war legendär für seine ausartenden Performances und seine Unpünktlichkeit. Am Mittwochabend im Arsenal führte das fast zu einer ästhetischen Mimikry: Keine der in dem maximal unübersichtlich gelayouteten Programmheft angegebenen Zeiten wurde eingehalten. Man startete mit einstündiger Verspätung, anschließend dehnte sich die Zeit über Ansprachen, frei ausgeschenkten Wein und die Premiere von Ulrike Ottingers Hommage „Still Moving“, bis schließlich Smiths traumhafte Farbfilmorgie „Normal Love“ (1963–65) erst um zwei Uhr nachts vorbei war – zu der Zeit, zu der Smith pflegte seine Live-Film-Performances beginnen zu lassen.

Die von Hebbel Theater und Arsenal gemeinsam organisierte Extravaganza, die am Wochenende noch weiterwuchern wird – u. a. mit einem Gespräch zwischen Thomas Meinecke und Marc Siegel über den Glamour des Glaubens und einem Gespräch zwischen Drag-Queen-Superstar Mario Montez und Tony Conrad über den Glamour von Kassettenbändern und Second-Hand-Fummeln –, scheint nicht nur dem Heiligenkult frönen zu wollen: Bevor er eine Diashow mit bis dato ungesehenen Bildern von Smith zeigte, provozierte der Berliner Filmemacher Wilhelm Hein zur Eröffnung in einer Art Stand-up-Nummer die Kuratoren des Festivals, Susanne Sachsse, Stefanie Schulte-Strathaus und Marc Siegel. Auch ihre Beschäftigung mit dem Antikapitalismus Jack Smiths sei nicht frei von Motiven des Distinktionsgewinns, sagte er. Zudem sei für Smith das Kino immer ein toter Ort gewesen, den er bewusst gemieden habe. Nun stehe man aber im Arsenal. War das schon eine „flaming“ Performance? Die New Yorker Performerin Penny Arcade, die Smiths künstlerischen Nachlass verwaltet, applaudierte zumindest begeistert.

Einen ersten inhaltlichen Höhepunkt erlebte „Jack Smith! Live Film!“ dann tags darauf, am Donnerstagnachmittag: Gekleidet in ein weinrotes Samtjackett, setzte Diedrich Diederichsen vor vollem Saal unter dem Titel „Jack Smith, Kapital Vol. 1, 2 & 3“ zu einer Heroisierung an. In seinem Vortrag arbeitete sich der Theoretiker in streng Marx’scher Gliederung durch Smiths ästhetisches Programm des „endlosen Aufschubs“ und analysierte seinen maximal antikapitalistischen Umgang mit Waren, Zeit und Maschinen. Smiths Kunst (Filme, Performances, Lyrik) hätte letztlich immer von der Unmöglichkeit gehandelt, im Kapitalismus Kunst zu machen, schloss Diederichsen, seine Aussage habe im Grunde dauerhaft gelautet: „Ich kann so nicht arbeiten“ – vorgetragen natürlich nicht mit dem Duktus eines genervten Agenturchefs oder einer überforderten Pollesch-Figur.

Die internationale Jack-Smith-Gemeinde fühlte sich verstanden und nickte zufrieden. Woraufhin Marc Siegel, als Vertreter des Kuratorenteams, die Gelegenheit ergriff, auf die Uhr zu schauen und die Versammlung mit den Worten aufzulösen: „Wenn wir jetzt Schluss machen, kann es mit dem nächsten Talk fast pünktlich weitergehen.“

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