Integre Ästhetik

Als The Messthetics veröffentlicht die Fugazi-Rhythmussektion ein stilwirbelndes Rockalbum

Von Jens Uthoff

Skippen wir mal etwas zurück auf eine Szene, die Mitte der Achtziger von Washington aus den „D.C.-Sound“ prägte. Rund um das Label Dischord bekamen Punk und Hardcore neue Impulse; MusikerInnen griffen den Groove lokaler Musiktraditionen wie GoGo-Funk auf, um Neues zu kreieren. Härte traf auf Polyrhythmen, treibende Gitarren konnten sich schon mal mit Dub-Bässen abwechseln. Mittendrin das Quartett Fugazi, dessen Song „Waiting Room“ (1988) zum Indie-Evergreen wurde. Ein Verdienst auch der fanfreundlichen Preispolitik, die Fugazis künstlerische Integrität ökonomisch untermauerte.

Fugazi sind seit 2003 im Sabbatical, überraschend tauchen Schlagzeuger Brendan Canty und Bassist Joe Lally nun mit einem neuen Projekt auf – The Messthetics heißt es. Zu verdanken ist ihr Comeback dem Gitarristen Anthony Pirog, der sich in diversen Jazz-Combos hervorgetan hatte. Er fragte an, ob die Musiker Lust auf eine Melange zwischen Rock und Jazz hätten. 2016 starteten erste Proben, 2017 folgte die Bühnenpremiere, und nun ist ihr Debütalbum veröffentlicht, natürlich bei Dischord.

Öffentliche Jamsession

Hat man die neun Songs auf „The Messthetics“ gehört, kann man nur hoffen, dass die Band mehr wird als ein Zeitvertreib. Denn das Trio, dessen Name auf einen Song der britischen Band Scritti Politti zurückgeht und ein Kompositum von „mess“ (Chaos) und „aesthetics“ (Ästhetik) ist, harmoniert ausgezeichnet. So haben die allesamt instrumentalen Songs Jamcharakter, und man kann sich vorstellen, dass Live-Variationen der Stücke anders klingen. Zum Teil kann man die Musik tatsächlich auf die Gleichung „Fugazi plus Jazz minus Gesang“ bringen, denn bei dem Gespann Canty/Lally klingt die gemeinsame Erfahrung aus den Punktagen mehr als nur sporadisch durch. Bei genauerem Hinhören decken die Stücke, die von Gitarrist Pirog komponiert sind, aber ein breites stilistisches Terrain ab. „Serpent Tongue“, „Quantum Path“ und „Crowds and Power“ sind schnelle, wirbelnde Progrock-Nummern, die manchmal an den Sound von King-Crimson oder an Posthardcore à la The Mars Volta erinnern. „Your Own World“ und „Radiation Fog“ ruhen dagegen in sich, vorgetragen mit Sologitarre und gespielt in gezügeltem Tempo. Das Finale „The Weaver“ wiederum erinnert mit seiner Akustikgitarre und dem Cello (von Gastmusikerin Janel Leppin) an Folk­rock. Die losen Fäden, die The Messthetics auf ihrem Debüt auswerfen, aber nicht stupide weiterverfolgen – Art Rock, Jazz Metal, arabische Harmonien –, machen neugierig, in welche Richtung es weitergeht.

The Messthetics sind ein perfektes Beispiel dafür, wie lokale Musikkulturen ein Klangbild prägen und wie dies auch zwei Generationen später deutlich hörbar ist. Denn die D.C.-Postpunk-Schule klingt genauso durch wie Funk- und Folk-Traditionen der Stadt. Und in gewisser Weise ist dem Ansatz von Messthetics auch die unabhängige Dischord’sche Labelphilosophie inhärent: Musik aus der Community für die Community, gemeinsinnstiftend, mit zweitrangigem Warencharakter: Der Sound dagegen zugänglich für alle. Kaum verwunderlich, dass die Szene aus der US-Hauptstadt fortschrittlich ist. Von Beginn an war sie integrativ, hat ­afroamerikanische und weiße Musiker zusammengebracht (die Bad Brains führten die Szene schon 1979 an), auch gendermäßig – man denke an Amy Pickerings Band Fire Party – war man weiter. In einer Stadt wie Washington D.C. kann man gar nicht anders, als sich politisch einzumischen (1985 rief man etwa den „Revolution Summer“ aus). Wem Dischord nichts sagt: Seit vergangenem Jahr gibt es eine Bandcamp-Seite, auf der der gesamte Katalog zu hören ist.

Hatte sich Dischord zuletzt mit Veröffentlichungen eher zurückgehalten, ist es ein erfreuliches Zeichen, wenn die Protagonisten der Achtziger-Gegenkultur, die bereits zu Reagan-Zeiten wichtige Stimmen der Opposition waren, nun zurückkehren. Kollaborative Ansätze in den USA sind aktuell wichtig wie lange nicht, das weiß man in der Hauptstadt schließlich am besten.

The Messthetics:„Messthetics“ (Dischord/Cargo), www.dischord.bandcamp.com