berliner szenen: Vorschrift ist Vorschrift, jawohl
Kurz vor Schließzeit in der Commerzbank am Kurfürstendamm. Eine Dame mit Blindenabzeichen auf dem Mantel fragt eine der Kassiererinnen, warum ihr Konto im Minus sei. Die Frau am Schalter erklärt: „Am 7. haben Sie 100 Euro abgehoben, am 15. ging der Strom ab …“
Ein alter Mann reicht der Frau an der anderen Kasse die Durchschrift einer Überweisung und fragt, warum das Geld nicht von seinem Konto abgebucht worden ist. Sie lächelt ihn an: „Sie haben die Unterschrift vergessen. Bitte noch einmal ausfüllen.“ Der Mann stöhnt und fragt, ob sie das nicht für ihn erledigen könne. Hinter den beiden hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Kassiererin betrachtet die Wartenden, legt ihre Stirn in Falten, sagt aber nichts und beginnt die Daten zu übertragen.
Währenddessen fragt ein Polizist an einem der Beratungsschalter nach dem Kontostand seines Sohnes. Der Bankangestellte schüttelt bedauernd den Kopf: „Den darf ich Ihnen nicht mitteilen. Ich habe hier keine Vollmacht für Sie vorliegen.“ Der Polizist erklärt: „Aber der Junge ist gerade in Südamerika ausgeraubt worden und hat kein Onlinebanking. Ich will doch nur erfahren, ob sein Konto geplündert wurde.“ Der Mann hinter dem Schalter zuckt mit den Schultern: „Ich sage das immer wieder: Immer frühzeitig an Vollmachten denken.“
Der Polizist sagt: „Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass wir eines Tages eine brauchen könnten. Was machen wir denn jetzt? Können Sie vielleicht eine Ausnahme machen? Er macht Work and Travel und weiß nicht, wann er das nächste Mal Geld bekommt.“ Der Bankmitarbeiter meint: „Ich habe auch so einen Abenteurer zu Hause. Aber mir sind die Hände gebunden. Vorschrift ist Vorschrift. Sie kennen das doch.“ Der Polizist nickt: „Ja, leider.“
Eva-Lena Lörzer
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