: „Es braucht ein Gegenmodell zum herkömmlichen Internet“
Darknet-Experte Stefan Mey erklärt im Interview, warum man das Darknet nicht meiden, sondern nutzen sollte, und wer sich dort so tummelt. Er kommt auch zum taz lab
Stefan Mey
Jahrgang 1981, arbeitet als Technologiejournalist. 2017 erschien sein Buch „Darknet – Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert“ bei C. H. Beck.
Interview Torben Becker
taz am wochenende: Stefan Mey, das Darknet ist doch ein Ort, wo mit Drogen, Kinderpornos und Auftragsmorden gehandelt wird. Sollte man sich davon nicht fernhalten?
Stefan Mey: Nee, im Gegenteil. Es ist ein spannender Ort, der jedoch sehr widersprüchlich ist. Aber alles, was es da an menschlichen Abgründen gibt, gibt es im normalen Internet auch. Es ist ein überwiegend rechtsfreier Raum: Der Staat hat wenig Zugriffsrechte, es ist aber kein moralfreier Raum.
Können Sie das genauer erklären?
Kinderpornografie zum Beispiel ist dort auf den komplett illegalen Marktplätzen, wo Drogen und Falschgeld gehandelt werden, völlig tabu. Wer das anbieten oder nachfragen würde, flöge sofort von der Plattform. Bei diesem Thema arbeiten Hackerkollektive auf eine kuriose Art mit der Polizei zusammen: Beide versuchen, diese Plattformen lahmzulegen, zu blockieren und die Identitäten der Betreiber und der Nutzer offenzulegen.
Worin besteht die große Chance des Darknets?
Das Internet macht mir mehr Angst als das Darknet. Dort ist fast alles überwachbar. Alltäglichste Handlungen, die Frage, ob man schwul oder lesbisch ist, welche Religion man hat oder mit wem man ins Bett geht, kann man alles aus digitalen Daten und Äußerungen ableiten. Das finde ich politisch wahnsinnig gefährlich. Deswegen braucht es ein Gegenmodell zum herkömmlichen Internet.
Ist das Darknet überwiegend eine Männerdomäne?
Dort tummeln sich vor allem die „early adopter“ oder digitalen Pioniere: hauptsächlich Männer zwischen 15 und 35, die technisch gebildet und ökonomisch gut aufgestellt sind. Inzwischen ist es nicht mehr ganz so ein Nischenthema, was aber, fürchte ich, nicht durch die politischen Potenziale kommt, sondern durch den Drogenhandel im Darknet, der eine Zielgruppe erschlossen hat, die vorher mit Internetpolitik wenig zu tun hatte. Auf den Drogenmarktplätzen im Darknet besteht die Möglichkeit, durch ein ausgefeiltes Bewertungssystem viel sicherer und sauberer das Cannabis für die WG-Party zu bestellen.
Und die politischen Potenziale?
Medien wie die taz haben Postfächer für Whistleblower im Darknet eingerichtet. Eine Möglichkeit, Whistleblower digital zu schützen. Zudem sind wichtige linke IT-Kollektive im Darknet vertreten.
Wie beispielsweise?
Riseup, die machen Kommunikationswerkzeuge für Aktivisten, Indymedia oder Systemli. Diese sind normal im Internet vertreten, haben allerdings eine parallele Präsenz im Darknet: sozusagen als alternative Zugangstüren.
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