: Die Klaviatur der Macht
ANGEKLAGT Bekanntester türkischer Pianist wegen angeblicher Beleidigung religiöser Werte vor Gericht. Fazil Say weist Vorwürfe zurück. Seine Unterstützer kritisieren Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei
ISTANBUL afp/taz | Vor einem Gericht in Istanbul hat am Donnerstag der Prozess gegen den derzeit bekanntesten türkischen Pianisten und Komponisten, Fazil Say, begonnen. Der 42-Jährige wurde wegen der Herabwürdigung religiöser Werte angeklagt.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Künstler vor, über den Kurznachrichtendienst Twitter islamfeindliche Kommentare verbreitet und damit gläubige Muslime beleidigt zu haben. Die Anklage fordert anderthalb Jahre Haft. Say hatte sich im April per Twitter unter anderem über einen Muezzin lustig gemacht, der einen Gebetsruf in nur 22 Sekunden absolviert hatte. Say fragte, ob der Muezzin vielleicht schnell zur Freundin oder zum Schnaps zurückkehren wollte.
Nach Bekanntwerden der Twitter-Kommentare hatten drei türkische Bürger Strafanzeige gegen Say erstattet. Sie erneuerten nun vor Gericht den Vorwurf, Say habe sie in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Say wies die Vorwürfe zurück. Der Richter legte als nächsten Verhandlungstag den 18. Februar fest.
Vor dem Gericht protestierten Unterstützer von Say gegen die Anklage. „Fazil Say ist nicht allein“, stand auf Transparenten. Die islamisch-konservative Partei des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde aufgefordert, sie solle „die Künstler in Ruhe lassen“. Say, ein bekennender Atheist und AKP-Gegner, hatte mehrmals mit kontroversen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht.
Viele seiner Unterstützer sehen den Prozess als Beispiel für die immer stärker werdenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit in der Türkei. Zahlreiche Künstler, Intellektuelle und Politiker solidarisierten sich mit Say – auch in Deutschland. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Memet Kilic sagte, die „islamistische Regierung der Türkei“ wolle einen theokratischen Staat aufbauen. Für die Linken-Politikerin Sevim Degdelen steht Say „stellvertretend für alle politisch Verfolgten in der Türkei“. Die Anklage gegen ihn sei absurd.
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