: Schreiend mit Nackten durch den Wald
Zwei Autoren forschen ein Jahr in der Selbstopti-mierungsindustrie. Monat für Monat verbessern sie einen Teil ihrer Selbst: Körper, Gehirn, Sexualität
Von Nina Apin
Lebe deinen Traum! Wecke den Helden in dir! Man kann keine Seife kaufen, ohne von Imperativen belästigt zu werden. Selbst im Privaten lauern sie, verpackt in hübsche Instagram-Posts, Freunde auf Yogamatten oder mit Smoothies. Ein nagender Zweifel stellt sich ein: Sollte ich mich anstrengen, gesünder zu leben?
Wenn das Gefühl, nicht zu genügen, mit dem Streben nach Selbstverbesserung zusammentrifft, dann hat die Stunde der Selbsthilfeindustrie geschlagen: 10 Milliarden Dollar Umsatz macht dieser Wirtschaftszweig jährlich, Tendenz steigend. Menschen in aller Welt, vor allem aber aus den Mittelschichten der postindustriellen Länder, lassen sich von Motivations- und Fitnesstrainern stählen, von Yogis erleuchten und von Businessgurus den Weg zum Erfolg weisen. Sie schließen sich an Maschinen an, lassen sich von Apps quälen, von Implantaten treiben. Kurz, es ist ein Irrsinn, aber immer mehr Menschen tun es.
Carl Cederström und André Spicer, zwei Organisationstheoretiker mit Hang zur teilnehmenden Beobachtung, haben ein Jahr damit verbracht, alles zu testen, was die Selbstoptimierungsindustrie so zu bieten hat. Monat für Monat verbesserten sie einen Teil ihrer Selbst: Körper, Gehirn, Sexualität, Erfolg, Spiritualität. Das Resultat ihrer Bemühungen haben sie als Tagebuch unter dem Titel „Auf der Suche nach dem perfekten Ich“ veröffentlicht.
Die Aufgaben gehen die beiden ihrem Naturell entsprechend an. Carl, ein ehrgeiziger Schwede aus Stockholm, wird zur Maschine: Er wirft sich mit Leib und Seele in wechselnde Projekte, vernachlässigt Frau und Kind und geht über seine Grenzen, indem er sich mit leistungssteigernden Drogen vollpumpt oder nach dreieinhalb Wochen Training an einer Gewichthebermeisterschaft teilnimmt. André, ein grüblerischer Neuseeländer, droht in den zwölf Monaten fast sein Selbst abhanden zu kommen; von Zweifeln und Rückschlägen geplagt, stellt er immer wieder das ganze Vorhaben und seine Freundschaft zu Carl infrage.
Carl Cederström/André Spicer: „Auf der Suche nach dem perfekten Ich. Ein Jahr in der Optimierungsindustrie“. Edition Tiamat, Berlin 2018, 400 Seiten, 22 Euro
Das Buch ist ein witziges Dokument des Scheiterns, ein manchmal auf billige Lacher angelegter Ritt durch die Untiefen der Optimierungsindustrie. Man begleitet Carl und André beim Versuch, in 30 Tagen ein Buch zu schreiben oder ihre Beziehung zu kitten. Manchmal wirkt das wie ein Prankster-Wettbewerb – welchen Sinn soll es haben, die ersten fünfhundert Ziffern von Pi auswendig zu lernen? Und warum sollte jemand Geld zahlen, um sich das Gehirn von einem Russen hacken zu lassen? Carl tut es und spürt nach einer Gleichstrombehandlung – nichts. Er schickt einen Scan seines Gehirns an André. Doch der boostet gerade seinen IQ für den MENSA-Test.
Im Dienste der Wissenschaft scheut das Duo keine Peinlichkeit. Auf der Suche nach ihrem inneren Krieger laufen sie schreiend mit anderen nackten Männern durch den Wald, mästen sich mit 5.000-Kilo-am-Tag-Diäten oder lassen sich für 2.800 Euro ihre Kinnpartie aufpumpen (die Partnerin bemerkt es nicht).
Der voyeuristische Charakter des Buches ist seine Stärke. Die Autoren versuchen gar nicht erst, den Anschein wissenschaftlicher Seriosität zu erwecken – mit einem Prostatavibrator im Hintern ist das auch schlecht möglich: „Im Magen hatte ich das Gefühl, als würde ich mich einer internistischen Untersuchung unterziehen (…) Das Brummen in meinem Hintern war überwältigend (…) Ich drückte beide Knöpfe gleichzeitig und hoffte, das Gerät würde ausgehen. Aber das tat es nicht. Ich verlor die Kontrolle. Ich wollte schreien.“
Mit dem Sex tun sich Cederström und Spicer besonders schwer. Was bleibt zwei recherchierenden Monogamisten außer der Onanie? Auch auf dem Feld der Spiritualität schürfen die beiden nicht sehr tief: Da entdeckt André die Pilgerreise als „Qualitätszeit mit Gott“ und Carl lässt sich von Osho-Jüngern mit Tantra quälen. Als dann noch die Hare Krishnas ihre Gesänge anstimmen und ein geburtsimulierender Floating-Tank bestiegen wird, drängt sich der Eindruck auf, dass es seit dem New-Age-Boom Mitte des 20. Jahrhunderts nicht allzu viel Innovation gegeben hat. Vielleicht haben Cederström und Spicer aber auch bloß keinen Ehrgeiz im Spirituellen.
Am Ende ihres Egotrips fragen sich die Autoren, was ihnen die ganze Optimierung eigentlich gebracht hat: „Später, als ich das schmutzige Geschirr abräumte, fragte ich mich, (…) warum ich trotz all der Zeit und Anstrengung das Gefühl nicht loswurde, dass sich nur wenig geändert hatte.“
Zusammen haben die Selbstoptimierer 25.000 Dollar ausgegeben. Vielleicht eine gute Investition in die eigene Zukunft: Optimierungsexperten werden immer gebraucht. Denn das geheime Motto der Branche, auch wenn es nie ein Coach laut sagen würde, lautet: Es ist nie genug.
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