wortwechsel
: Die Internationale erkämpft …?

Sahra Wagenknecht und die Zuwanderung, das Kopftuch, der Säzzer, übergriffige Frauen und Professor Baberowski – viel gibt es zu sagen. Hier ein Ausschnitt

Ist sie noch halb links oder schon ganz rechts? Foto: Stefan Boness

„Rot-Rot-Grün ist tot“, Interview mit Sahra Wagenknecht, taz vom 7. 3. 18

Populistisch gedacht

Das Land benötigt in den kommenden Jahren nach Berechnungen der Nürnberger Arbeitsmarktforscher jährlich 400.000 Zuwanderer, um die Sozial- und Rentensysteme zu sichern. Die Renten der unter 34-Jährigen sind heute schon wackelig. Beispiel: Für den IT-Experten aus Sri Lanka, der bereit ist, hier zu leben und zu arbeiten, rückt bei einer Arbeitslosigkeit von 21 Prozent ein Experte nach. Für beide fast ein Lottogewinn. Deshalb ist es auch humaner und effizienter, statt abzuschieben, hier auszubilden. Humanität und Eigeninteresse widersprechen sich nicht immer. Frau Wagenknecht denkt keinesfalls links, sondern populistisch wie Horst Seehofer. Hans Wallow, Bonn

Richtig und falsch

Richtig ist, „die alten Sozialstaaten sind innerhalb einzelner Länder erkämpft worden – globale Marktfreiheiten und transnationale Abkommen, auch die EU-Verträge, haben sie zerstört“. Aber falsch und ein zentraler Denkfehler ist, daraus zu folgern, Sozialstaatlichkeit könne auf nationaler Ebene zurückerobert werden.

So richtig der Kampf um jeden Millimeter Sozialstaat in den nationalen Strukturen ist, gegen den Erpressungsdruck von europäischer und globaler Ebene wird nicht anzukommen sein. Auch Frau Wagenknecht als deutsche Wirtschafts- oder Finanzministerin würde daran scheitern. Es geht um transnationale Solidarität, Bündnisse und Organisationsstrukturen, um dem entfesselten Kapitalismus sozialstaatliche Fesseln anzulegen, ihn politisch zu entwaffnen. Zurück zum Rheinischen Kapitalismus funktioniert nicht. Werner Sauerborn, Stuttgart

Richtig gruselig

Sobald Frau Wagenknecht ausführlicher zu Wort kommt, wird es richtig gruselig. Internationalismus kommt natürlich nur bei den Reichen vor, die überall ihre Häuschen haben und ihre Kinder weltweit auf Eliteunis schicken können. Sozialpolitik dagegen sei immer innerhalb einzelner Länder erkämpft worden. Hieß es nicht einmal: „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht?“ Und begann der Arbeiterschutz hier nicht rund 35 Ja­hre vor Gründung des Deutschen Reichs auf Intervention des preußischen Generalstabs, der die Kinderarbeit eingeschränkt wissen wollte, die exzessiv im Ruhrgebiet in den 1830er Jahren mit Sechsjährigen in der Kohleindustrie betrieben wurde, die dann mit 16 kein Gewehr mehr halten konnten? Und gäbe es den Mindestlohn in Deutschland heute wirklich ohne die EU?

Müsste nicht Wagenknecht, die die Flüchtlinge pauschal als Konkurrenz für die Unterschicht – früher hieß das: Arbeiterklasse – definiert, folgerichtig auch die Russlanddeutschen exilieren? Die politischen Vorstellungen Wagenknechts erinnern fatal an die so jämmerlich gescheiterte Politik der stalinistischen KPD in der Endphase der Weimarer Republik, den Nationalismus der Nazis mit mehr Nationalismus zu übertrumpfen.

So wird in der KPD-Programmerklärung „Zur nationalen und sozialen Befreiung (in dieser Reihenfolge!) des deutschen Volkes“ die NSDAP schwerpunktmäßig dafür kritisiert, dass sie nichts für die unterjochten Deutschen in Südtirol tue.

Es wird Zeit, Frau Wagenknecht nicht wahltaktisch, sondern grundsätzlich entgegenzutreten. Till Schelz-Brandenburg, Bremen

Das Kopftuch

„Allah hat nichts gegen Damenfrisuren“ und Briefe, taz vom 17./18. 2. und 21. 2. 18

Jetzt erklären wir Biodeutschen mal den Kopftuchmädchen, wie unemanzipiert und unfrei sie sind! Das ist genauso, wie wenn Westdeutsche über die Stasi schwadronieren: nie selbst erlebt, Hintergründe unbekannt, nie mit Betroffenen gesprochen, gründlich informiert in Funk und Fernsehen. Ihr Gutmenschen aus SalonLinkistan, kommt mal nach Duisburg und fahrt mit der 901 einen Tag lang rauf und runter. Dann werdet ihr sehen: Auch wenn es derselbe Stoff ist, das Kopftuch ist ein ganz anderes geworden. Und die soziokulturell zurückgebliebenen Kopftuchmädchen, ups, die sprechen ja viel besseres Deutsch und arbeiten gar nicht selten an einem Hochschulabschluss.

Hier in Duisburg siehst du, was heute ein Kopftuch ist – und was nicht. Das schnelle Urteil ist garantiert das falsche Urteil! Weil die deutschen Frauen (die echt biodeutschen!) in den 50ern immer und alle Kopftuch trugen, heißt das noch lange nicht, dass der Gegenstand, seine Symbolik und seine Aussage sich seitdem nicht mehrmals drastisch verändert hätten. Name ist der Redaktion bekannt

Punk not dead

„Georg Schmitz, der Säzzer“, taz vom 27. 2. 18

Da schlage ich meine taz auf, wie meistens von hinten nach vorn – und was sehe ich? Säzzerkommentare! SÄZZERKOMMENTARE! Yeah! Punk not dead! Die Auflösung auf Seite 2 war dann etwas enttäuschend: Nur eine Hommage an Georg Schmitz? Wie schade! Die Säzzerkommentare waren immer mehr als ein Gag – sie waren das Symbol der kritischen Widerständigkeit der taz, auch gegenüber dem eigenen Produkt, und zogen der Berichterstattung eine zusätzliche Reflexionsebene ein. Es sollte sie wieder geben. Wir wollen Säzzerkommentare! Klaus Bailly, Lübeck

Das freut BlackRock

„Rechte im Betriebsrat: Ausweitung der Kampfzone“, taz vom 5. 3. 18

Die Gewerkschaften machen sich Sorgen und veranstalten also Workshops und Argumentationstrainings gegen rechts, weil die „Neue Rechte“ in die Betriebsräte drängt, sogar bei Daimler. Warum sind die Gewerkschaften nicht eher tätig geworden und haben sich gegen den Lohnverfall gewehrt: Laut Herrn Riexinger (Linke) in einem Interview kürzlich in der taz hat ein Daimler-Arbeiter in der Logistik, der vor 2001 eingestellt wurde, 4.400 Euro brutto verdient, der Leiharbeiter hatte dann 3.200 Euro, und der Werkverträgler von heute hat noch 1.700 Euro.

Das freut zumindest Herrn Friedrich Merz, der für BlackRock im Wirtschaftsrat der CDU sitzt: Die BlackRock-Gruppe ist nämlich mit 27,42 Prozent an der Daimler-AG beteiligt und profitiert von den Werkverträgen. Regina Rensink, Stadum

Paternalistisch-blasiert

„Ran an den Speck“, taz vom 7. 3. 18

Vielen Dank für den Artikel von Herrn Schumacher, der eine gesellschaftliche Gesamtproblematik, die mit Macht und Ohnmacht zu tun hat, wohlüberlegt und mit viel Sensibilität auf den Punkt bringt.

Ein Zitat, dessen inhaltliche Aussage Herr Schumacher selbst offenkundig nicht teilt, sei noch einmal genauer beleuchtet: „Ähnliches unterstellt auch ein Kollege: ,Hätte Frau X einem Arbeiter in der Fabrik in launiger Runde an den dicken Bauch gepatscht und gesagt, da passen aber noch ein paar Semmeln rein, hätte der Arbeiter dies sicher nicht als Übergriff, sondern als etwas Kumpelhaftes betrachtet‘ “, meint er.

Dieser paternalistisch-blasierte Blick des „Intellektuellen“ auf die Malocher mag im entsprechenden Milieu ja mehr oder weniger verbreitet sein, aber: Auch einfache Arbeiter wissen um ihre Würde und wissen es zu schätzen, wenn man sie achtet. Sie wären zu Recht gekränkt, wenn man mit ihnen (und ihrem Bauch) umginge wie mit Firmeneigentum, an dem das Management „Kumpelhaftes“ demonstriert. Könnte man sich denn eine „launige Runde“ vorstellen, in der ein ­Arbeiter seinem Boss an den – natürlich Sit-up-gestählten – Bauch patscht und meint, da sei doch wohl noch Platz für’n Löffelchen Beluga?

Die Achtung der körperlichen Integrität des/der anderen ist eine Grundvoraussetzung für Emanzipation und Gleichheit. Das gilt zwischen den Geschlechtern ebenso wie zwischen den Klassen, Pardon: Sozialpartnern. Wer Übergriffigkeit mit „Kumpelhaftem“ verwechselt, hat einfach nix kapiert. Roland Nuß, Bad Staffelstein