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Archiv-Artikel

Was von den Nachbarn übrig blieb

Freitag vor zwei Wochen wurde die vierköpfige Familie Memić aus Belzig abgeschoben. In der kleinen Stadt hatte es eine Welle der Solidarität mit den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina gegeben. Nun bleibt nur noch das Verschicken von Kisten nach Sarajevo und tröstende Worte in der Predigt

von KERSTIN HENSECKE

In der verlassenen, noch vollständig eingerichteten Wohnung der Familie Memić, zwischen hastig geschnürten Kleidersäcken und notdürftig verklebten Kartons, steht der Pfarrerin Dagmar Greupner die Betroffenheit noch deutlich ins Gesicht geschrieben. Eine Abschiebung gehört nicht zur pastoralen Routine. Jörg Hallex, Chef der Ausländerbehörde Potsdam-Mittelmark, hat ihr für ihr Mitwirken an der reibungslosen Abschiebung gedankt.

„Habe ich mich jetzt zum Handlanger der Behörden gemacht, weil ich versucht habe, das Unvermeidbare halbwegs menschenwürdig und erträglich für die Betroffenen zu machen?“, fragt sie zwischen zwei tiefen Zügen an ihrer Zigarette. Bis ins Flugzeug am Tegeler Flughafen durfte sie Fahrudin und Vesna, die Eltern, und Mehmed und Elmir, die beiden Söhne im Teenageralter begleiten.

Fünf Jahre haben sie in Belzig gelebt, galten als integriert und als angenehme Nachbarn. Vesna Memić putzte in einem Potsdamer Hotel die Zimmer und bezog Betten, bis die Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis entzog.

Die Wohnung im sanierten Plattenbau ist gemütlich eingerichtet. In ihrem gepachteten Schrebergarten gedeihen noch Blumen, Salat und Zucchini, die nun vertrocknen werden. Die Jungs hatten deutsche Freunde. Elmir hatte eine Lehre als Karosseriebauer begonnen, Mehmed wollte das Abitur machen. Die Memić’ sahen stets in die Zukunft. „Deutschland ist ein schönes Land, mein Land ist das Problem“, sagte Fahrudin Memić dann am Morgen seiner öffentlichkeitswirksamen Abschiebung in die Kamera des RBB-Reporters. „Ich glaube nicht, dass ich dort noch lange leben werde.“

Wie im Anhörungsprotokoll zum letztlich abgelehnten Asylantrag nachzulesen ist, sieht sich die Familie im arabisierten Nachkriegsbosnien aufgrund der Mischehe zunehmend öffentlicher Diskriminierung ausgesetzt. Die Kinder müssen in der Schule ihre Lehrer auf arabisch grüßen, der Vater dagegen gebietet ihnen, dies auf bosnisch zu tun. Als Vesna und Fahrudin nach vielen Jahren des Zusammenlebens 1995 heiraten, sehen Freunde und Verwandte dies nicht ohne Sorge. „Es ist jetzt schlimmer als im Krieg“, gab Vesna Memić den Vernehmern vom heutigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu Protokoll. „Da kannte man die Gegner und wusste, wo die Fronten verlaufen. Jetzt ist es schlimm, gesetzlos, jeder kann bedrohen, wen und warum er will.“ Selbst im Bürgerkrieg gilt die Serbin nach ihren Berichten nicht als Feindin, versorgte die bosnischen Patrouillen ihrer Straße mit Tee und Kaffee, distanziert sich glaubhaft von den Gräueltaten Milošević’, dessen Nation sie ebenso zufällig angehört wie jeder andere Mensch der seinen. Sie nutzt auch nicht das Angebot, samt den Kindern in einem Flüchtlingskontingent 1992 nach Deutschland zu gehen. Auch Fahrudin will bleiben und das Land verteidigen, durch das er bis dahin als Schlagzeuger mit seiner Band getourt war. Laut Anhörungsprotokoll bekommt er Probleme mit militärischen Vorgesetzten, weil er sich weigert, serbische Gefangene zu misshandeln. „Die haben das auf meine serbische Frau zurückgeführt.“ Er wird an die vorderste Frontlinie geschickt, von wo er schwer verwundet heimkehrt. Als der Krieg vorbei ist, lebt von der Band nur noch er, der Schlagzeuger. Er spielt nie wieder, macht stattdessen Laden und Café auf, übernimmt die kleine Milchwirtschaft unweit Sarajevos.

Bereits im Juni 2000 wird der Asylantrag der Familie erstmals abgelehnt. Die Fluchtgründe seien nicht staatsbedingt, so die Begründung des Verwaltungsgerichts Potsdam, da die Situation nicht auf das gesamte Territorium des Staates Bosnien-Herzegowina übertragbar sei. Politisches Asyl sei deshalb nicht zu gewähren. Auch eine zweite Anhörung 2003 bringt nichts. Ab September 2004 sind die Memić’ „vollziehbar ausreisepflichtig“, wie es im Fachjargon heißt. Im November wird die Familie aufgefordert, bei ihrer Botschaft Reisedokumente zu beantragen. Das tun sie zwar, holen die Pässe auf Anraten ihres Anwalts jedoch nie ab. Mit Schreiben vom 12. Juli kündigt die Ausländerbehörde die Abschiebung für den 26. August an, wenn die Familie nicht bis zum Vortag freiwillig ausreise.

Als Kees Berkouwer, Ausländerbeauftragter des Landkreises, am 7. August von der drohenden Abschiebung erfährt, ist es bereits zu spät. „Hätten Sie sich ein Jahr früher damit beschäftigt, hätte man vermutlich etwas für die Familie tun können“, muss sich Berkouwer von Ausländerbehördenchef Hallex am Ende sagen lassen. Gemeint war: Jedes Gesetz hat Lücken. Kees Berkouwer bleibt neben Intervenierungsversuchen bei der Ausländerbehörde nur noch die Öffentlichkeit. Unterstützt von den städtischen Gesamtschülern, die ebenfalls erst „fünf vor zwölf“ von der Abschiebung ihres Mitschülers Mehmed erfahren, hunderte Unterschriften sammeln und mit der Forderung vor das Landratsamt ziehen, Mehmed solle wenigstens seine Schulausbildung beenden dürfen. Der Landrat Lothar Koch (SPD) lobt die Schüler ob ihrer Solidarität als „Mut machendes Korrektiv“, findet den Mut zur Korrektur dann selbst aber nicht. Eine Welle der Empörung wogt durch das kleine Belzig.

Am Morgen der Abschiebung (die taz berichtete) stehen etwa 80 SchülerInnen und 7 LehrerInnen ab vier Uhr morgens vor dem Haus der Memić’. Verhindern können sie die Abschiebung nicht. In ihrer Sonntagspredigt zwei Tage später liest Dagmar Greupner über die Heilung eines Aussätzigen aus dem Markus-Evangelium: „Er war für die anderen eigentlich schon gestorben. Nicht aber für Jesus. Er hat das Gesetz ignoriert, er hat seine eigene Angst, dann ebenfalls ausgegrenzt zu werden, überwunden.“ Ein mit den Memić’ befreundetes deutsches Tierarzt-Ehepaar bietet an, Mehmed aufnehmen zu wollen, wenn er – als Einziger – vielleicht wieder eine Einreisegenehmigung erhält, damit er sein Abitur doch noch machen kann. Für den Rest der Familie gibt es keine Wiederkehr. Als Landrat Koch die demonstrierenden SchülerInnen fragt, ob sie allen Ernstes glaubten, er könne sich über geltendes Recht hinwegsetzen, nicken diese: Wenn es inhuman ist: Ja!

Die Memić’ haben sich inzwischen aus Sarajevo gemeldet. Ihr Haus ist völlig zerstört, die Familie hat sich vorläufig auf verschiedene Verwandte verteilt. Ihr weiteres Leben ist ebenso ungewiss wie die Frage, womit Fahrudin Memić das teure Insulin kaufen soll, dass er als hochgradiger Diabetiker täglich braucht. In der Belziger Gesamtschule wird inzwischen Geld gesammelt, um das Hab und Gut der Familie nachzuschicken. Eile ist geboten. Die Wohnung der Memić’ ist bereits wieder vermietet, ließ das Sozialamt den ehrenamtlichen Ausländerbeauftragten wissen, und müsse dringend geräumt werden.