: Lehren aus einem Einzelfall
Knapp zwei Wochen nach dem Tod des siebenjährigen Christian diskutiert der Rechtsausschuss über die Tat. Oberstaatsanwalt: Fall ist nicht vergleichbar mit anderen. Justizsenatorin kündigt Analyse an
VON PLUTONIA PLARRE
Der Fall hat die Stadt erschüttert: Ein siebenjähriger Junge wird von einem 16-Jährigen umgebracht. „Aus Frust brutal erschlagen“, titelten nicht nur die Boulevardzeitungen. Von der CDU über die Springer-Zeitungen und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bis hin zu bürgerlichen Medien wurde der Fall zum Anlass genommen, um eine härtere Gangart der Justiz gegenüber jugendlichen Gewalttätern – Intensivtäter genannt – einzuklagen. Die Zeit der „Kuschelpädagogik“ sei vorbei, meinte die CDU.
Christians Tod ist tragisch. Aber das ist kein Grund, das Augenmaß für die Verhältnisse in der Stadt zu verlieren. Oder wie es Oberstaatsanwalt Manfred Schweitzer gestern im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses ausdrückte: „Dies ist Gott sei Dank ein Einzelfall. Deshalb sollte man darüber auch als Einzelfall reden.“ Schweitzer steht ganz sicher nicht im Verdacht, ein „Kuschelpädagoge“ zu sein. Der Hauptabteilungsleiter der Staatsanwaltschaft, der die Oberaufsicht über die Sonderabteilung für jugendliche Intensivtäter führt, hat in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, den seiner Meinung nach zu laschen Jugendrichtern den Marsch zu blasen. „Verbote müssen sanktioniert werden, sonst verliert der Rechtsstaat an Glaubwürdigkeit.“ Aber wenn sich der Fall Keith M. zu einem nicht eigne, dann zu einer Verallgemeinerung und Ableitung von Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, sagte er gestern. Der Fall sei der schlimmste, den er in seinen 26 Dienstjahren erlebt habe. „Da liegt einiges im Argen. Aber nicht bei der Justiz.“
Keith M., Sohn eines GIs und einer Deutschen, ist bei seinen Großeltern aufgewachsen. Vater und Mutter hat er nie kennen gelernt. Schon als Kind ist er wiederholt mit Körperverletzungsdelikten aufgefallen. Im Juni 2005, also wenige Wochen vor dem mutmaßlichen Mord, gehörte er zu einer Gruppe von Jugendlichen, die an einer Tankstelle in Zehlendorf einen Soldaten zusammenschlugen. Der Mann kam schwer verletzt ins Krankenhaus. Keith M. wurde einem Haftrichter vorgeführt, erhielt aber Haftverschonung.
Nach Christians Tod wurde in den Medien der Vorwurf laut, mit einer gegenteiligen Entscheidung wäre das Kind heute noch am Leben. Schweitzer wies gestern darauf hin, dass seinerzeit bei der Vorführung vor den Haftrichter „nicht klar war“, ob Keith M. derjenige gewesen war, der zugeschlagen hatte.
Er könne sehr gut nachvollziehen, dass der Richter damals so entschieden habe, sagte der Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann, im Rechtsausschuss. Der Fall mache deutlich, dass die Justiz kein Allheilmittel ist. „Wir brauchen keine Gesetzesverschärfungen. Die Institutionen außerhalb von Justiz und Polizei müssen enger ran.“ Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) erklärte, sie wolle sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Im Gegenteil: Zusammen mit den anderen Behörden will sie eine Analyse des Falls vornehmen.