Ein Stein sollst du sein

Ein lehrreicher Film über weibliche Ideale in Kirgistan: Aminatou Echards „Djamilia“ (Forum)

Bei einem ­Gläschen Tee redet es sich besser: Still aus „Djamilia“ Foto: Still: Aminatou Echard/Berlinale

Von Brigitte Werneburg

Mit „Djamilia“ hat Tschingis Aitmatow nicht nur die schönste Liebesgeschichte der Welt geschrieben wie Luis Aragon schwor, der das Buch 1959 ins Französische übersetzte. Er hat auch eine Frauenfigur geschaffen, die bis heute lebendige Bezugsfigur der Kirgisinnen ist, in ihren Erwartungen an das Leben und die Liebe, vor allem aber in ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung. Das erfuhr Aminatou Echard 2006, als sie zum ersten Mal nach Kirgistan kam, wo sie eine Djamilia-Darstellerin suchte.

Es ging der französischen Dokumentaristin nicht um die Verfilmung von Aitmatows Erzählung. Djamilia, deren Mann im Zweiten Weltkrieg an der Front ist – was ihr die Möglichkeit gibt, ihre arrangierte Ehe, die unglücklich ist, hinter sich zu lassen und mit dem Mann, den sie wirklich liebt, davonzugehen –, war in ihrem damaligen Filmprojekt nur eine Nebenrolle. Zu ihrem großen Erstaunen bewarben sich dann auch ältere und alte Kirgisinnen um die Rolle der jungen Frau − mit dem Argument, sie seien sehr wohl Djamilia. Das nun führte dazu, dass Echard doch noch den abendfüllenden Film „Djamilia“ gedreht hat − mit Frauen jeden Alters, die ihr berichten, was sie an der literarischen Figur bewundern oder kritisieren, wo sie ihr nacheifern und wo sie an Grenzen stoßen.

Echard hat ihre Gesprächspartnerinnen auf stummem Super-8-Film aufgenommen und diesen Film mit einer eigenen Tonspur unterlegt. Die Grobkörnigkeit des Super-8-Materials gibt dem kirgisischen Sommer ein ganz besonderes Flirren und Flimmern, in das die Stimmen der Protagonistinnen eingebettet sind wie in einen Traum. Echards Ansatz ist geradezu gleichnishaft, denn das ­kirgisische Ideal der Frau geht dahin, dass sie schweigsam ist, von sich absieht und ihre Gefühle strengstens kontrolliert, also weder Liebe noch Hass, weder Zorn noch Verzweiflung äußert. „Die Frau ist ein Stein, sie bleibt, wo sie hingeworfen wird“, zitiert eine Frau im Film eine kirgisische Redensart.

Doch das scheint gerade hier, jedenfalls von außen betrachtet, menschenunmöglich zu sein. Denn neben der herrschenden Sitte der arrangierten Ehe lebt auch wieder die Unsitte auf, dass der Mann, dem eine junge Frau gefällt, sie entführen, vergewaltigen und damit die Ehe be­gründen kann. Djamilia war 1942, in dem Jahr, in dem die Erzählung spielt, freier, als sie es heute ist, sagt eine junge Frau. Denn nach dem Ende der Sowjet­union erlebt das unabhängige Kirgistan eine Renaissance des Islam, auch in seiner fundamentalistischen Form. Deshalb erzählt eine andere junge Frau, die Djamilia für ihre Willensstärke bewundert und ihr Bekenntnis zu ihren eigenen Gefühlen, sie wisse nicht, ob der Wunsch, der literarischen Figur darin zu gleichen, mit ihrem Glauben an Allah vereinbar sei.

Eine andere Frau wiederum ist sich sicher, dass dies nicht der Fall ist – und verurteilt Djamilia. Wieder eine andere hat die große Liebe erlebt, musste aber auf sie verzichten, weil ihre Eltern nicht einverstanden waren, dass sie mit dem Mann, einem Türken, in dessen Heimat zieht. Eine arrangierte Ehe würde sie auf keinen Fall eingehen. Allerdings stellen weder sie noch die anderen Frauen – mit einer Ausnahme – die Ehe an sich infrage.

Die Liebe ist dabei für die meisten Frauen weniger wichtig als Bildung und berufliche Selbstständigkeit. So sieht es auch das junge Mädchen, das weder heiraten noch Kinder bekommen will. Stattdessen möchte es studieren, einen spannenden Beruf ausüben, viel reisen. Und, ja, wenn sich ein Mann findet, der da mitmacht: auch gut. Für dieses Mädchen hat Djamilia als Bezugs­figur offensichtlich ausgedient.

25. 2., 10 Uhr, Zoo Palast