: Brüder im Geiste
PROPORZ Die Schau „Verführung Freiheit“ im Deutschen Historischen Museum Berlin versucht die große Erzählung
VON RONALD BERG
Die Freiheit also ist es, worauf sich alle einigen können. Alle, das meint die 47 Mitgliedsländer des Europarats. „Verführung Freiheit“, das jüngste Ausstellungsprojekt des Deutschen Historischen Museums (DHM) zur politischen Ikonografie Europas trägt das Prädikat „Europaratsausstellung“. Dementsprechend sollten möglichst alle Nationen aus diesem Bund zur Förderung des europäischen Zusammenschlusses beteiligt sein. Ist Freiheit im europäischen Sinne also wieder mal ein Proporzproblem?
Große Namen
Nein, meint Monika Flacke, Kuratorin der DHM-Ausstellung und Leiterin für die Kunst des 20. Jahrhunderts im Hause. Denn in der Kunst spielten die Geografien von Nord und Süd, Ost und West keine Rolle. Ob große Namen wie Beuys, Giacometti, Francis Bacon, Damien Hirst oder hierzulande wenig bekannte Künstler aus europäischen Randzonen wie Lettland oder der Türkei, ob als Informelle oder als Konzeptkunst, ob mit Pinsel und Farbe oder lieber mit Foto- und Videokamera, überall in Europa steht die Kunst für einen Glauben an die Freiheit.
Die Freiheitsidee widersetzt sich allen gesellschaftlichen Widrigkeiten, allen Arten von Diktatur, jedweder Reisebeschränkungen und überdauert auch materielle oder existenzielle Nöten. Das ist es, was die Ausstellung zu beweisen sucht: Aus dem Trauma des Ost-West-Gegensatzes erwachen wir alle als Europäer. Im Geiste waren wir nämlich schon lange Brüder. Zumindest seit der Aufklärung und deren Grundgedanken der individuellen Freiheit des bürgerlichen Subjekts inklusive der daraus folgenden Wertschätzung von Menschenrechten, Gleichheit und Demokratie.
Wie dieser Gedanke der Freiheit, der glücklicherweise mit den Zielen des Europarats deckungsgleich ist, bei Kunst und Künstlern in Europa seit 1945 Ausdruck findet, das ist das Thema der Schau. 113 Künstler aus 28 Ländern hat das DHM dafür aufgeboten. Eine breite europäische Beteiligung war bei diesem Thema Pflicht – zumal die Ausstellung auch von der Europäischen Kommission gefördert wurde. Man ahnt die gut gemeinte Absicht und ist dennoch etwas verstimmt. Denn unter dem Banner der Freiheit werden nun Kunstwerke benutzt, um gemeinsam-europäische Werte zu belegen.
In der Ausstellung selbst kann der Besucher leicht auf den ideologischen Ballast verzichten. Die Einteilung in zwölf Kapitel lässt sich schnell übersehen. Die jeweiligen Einleitungstexte stehen auf den Stirnseiten der locker im Raum verteilten Stellwände. Im Untergeschoss des Pei-Baus dominieren fließende Übergänge und durchgehende Perspektiven. Das ist geschickt und konsequent gemacht. Denn das Grundparadox dieser Veranstaltung, die Gleichzeitigkeit von Themen- und Kunstausstellung, ist eben nicht aufzulösen.
Will sich der Besucher auf die Thesen der Ausstellung einlassen, wird er stark gefordert. Die gewohnte Ordnung nach Stilen fehlt, eine Chronologie auch. Stattdessen vergleichsweise ausführliche Texttafeln mit Aspekten, die in Kunstmuseen sonst fehlen.
Das Anfangskapitel der Schau bildet der „Gerichtshof der Vernunft“. Schon hier schlägt der Rekurs auf Aufklärung und Menschenrechte in eine Dialektik der Aufklärung um. Die bildliche Anrufung der Revolutionäre, Marat bei Ian Hamilton Finlay und Robespierre bei Jannis Kounellis, bringt den „Terreur“ in Erinnerung, der die Geburt der bürgerlichen Gesellschaft begleitete. Bei Yinka Shonibare hat dann auch Adam Smith keinen Kopf mehr. Der britische Künstler mit schwarzer Hautfarbe hat stellvertretend eine Puppe dieses Philosophen der Marktwirtschaft guillotiniert. Der freie Markt Europas hat schließlich ganze Kontinente kolonisiert.
Es folgt „Die Revolution sind wir“, wo mit Fernand Légers gemalter Huldigung an die aufbauende Arbeiter von 1950 und Stephan Balkenhols putzigem aus dem Stamm einer Douglasie geschlagenen „Prometheus“ von 2009 noch einmal die Rolle von Individuum und Klasse befragt wird. Die restlichen Kapitel lassen gleichsam eine Conditio humana Revue passieren.
Tatsächlich kommen auch die einstigen Differenzen zwischen Reisebeschränkungen im Osten und Konsumterror im Westen dabei zum tragen. Am Ende der Schau wird es aber wieder ganz allgemeinmenschlich. Das letzte Kapitel „Welt im Kopf“ kann zudem von den realen Differenzen zwischen den Menschen (nicht nur in Europa) absehen. Am Ausgang der Ausstellung hängt Erik Bulatovs Selbstporträt von 1973. Den Kopf des Künstler hinterfängt eine Wand mit der Aufschrift „Kein Eingang“. Man könnte es fast für einen unfreiwilligen Kommentar auf das Unterfangen dieser Ausstellung halten und nicht für eine künstlerische Reaktion auf die damalige sowjetischen Zensur. Die Ideen der Künstler sind Außenstehenden nicht zugänglich. Sie bleiben im Kopf.
Eigene Geschichte
Zur Freiheit von Kunst gehört, dass man sie nicht auf die eigene Interpretation festlegen kann. Insofern könnte der Besucher die vielen Kunstwerke auch anders lesen. Das steht ihm frei. Schließlich begegnet ihm hier eine großartige Auswahl von Kunstwerken, gleichsam ein Potpourri der Highlights aus dem Kunstbetrieb seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die doch alle auch eine eigene Geschichte erzählen. Man kann diese Geschichten auf den Texttafeln ja auch lesen. Aus all dem wieder eine große Erzählung zu machen, hatte man sich auch in der Geschichtswissenschaft seit der Postmoderne eigentlich schon abgewöhnt.
■ Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis 10. Februar 2013. Katalog, Sandstein-Verlag, 32,80 Euro, elektronischer Katalog 14,80 Euro