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berliner szenenNur Ulm fährt nach Leipzig

Um 9.35 Uhr bricht Panik im ICE 703 auf Gleis 2 aus. Mehrere Menschen, darunter zwei besonders aufgeregte Frauen mittleren Alters, haben den Zug verwechselt und fahren nun statt nach Ulm nach München. Ich fühle mit ihnen. Man kann darüber streiten, aber für mich gibt es keinen verwirrenderen Ort als den Berliner Hauptbahnhof. Man weiß nie, auf welcher der Seiten man sich gerade befindet. Rewe, Vapiano und der EC-Automat sind auf der Seite zum Regierungsviertel. Ditsch, der Blumenladen und Backwerk auf der Seite zum Brachland. So weit, so gut. Trotzdem finde ich mich oftmals ungläubig auf der falschen Bahnhofsseite wieder.

Hat man diese Hürde überwunden, kommt gleich die nächste in Form von vielen Gleisen auf diversen Ebenen. Es ist faszinierend, wie die Züge aus allen Richtungen durch dieses gläserne Nadelöhr geleitet werden. Aber für den Hauptbahnhof­unerfahrenen birgt es Risiken. So wie für die beiden besonders aufgeregten Frauen aus Leipzig, die fluchend vor verschlossenen Zugtüren stehen. Aus Gründen, die nur der Berliner Bahnhof versteht, wurden die Gleise der Züge nach Ulm und München miteinander getauscht. Sie stehen sich gegenüber.

Ich selbst hatte Glück. Nach einigen Minuten der gemeinsamen Verwirrung haben der Mann, der dieselbe Sitzplatzreservierung wie ich hatte, und ich festgestellt, dass sich einer von uns beiden im falschen Zug befinden müsse. Die Wahl fiel erst mal auf mich. Doch kurz bevor ich aussteigen und in den gegenüberstehenden Zug hechten wollte, überholte er mich und rief: „Ulm fährt nach Leipzig!“ Abgekämpft setze ich mich auf den reservierten Platz im richtigen Zug. Leid tun mir die beiden Damen, die nach Leipzig wollten und nun Richtung München müssen. Ich gebe dem Hauptbahnhof die Schuld. Marlene Militz

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