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Archiv-Artikel

Zwei Söhne auf dem Weg ins Ungewisse

Erst folgt Einfall auf Einfall, dann fehlt der Mut: Cyril Tuschis Spielfilmdebüt „SommerHundeSöhne“

Verloren sitzt Frank auf dem Vordersitz eines großen Wohnmobils. Fahren soll er damit, aber er weiß nicht wie. Hilflos schaut er auf das Lenkrad: Ein Leichtmatrose, der sich an das Steuerrad eines riesigen Schiffes verirrt hat. Fahrig hantiert er am Armaturenbrett, dreht den Schlüssel um – und knallt gegen Marcs Motorrad. Dies ist die Initialzündung einer irrwitzigen Reise, an deren Ende Frank und Marc in Marokko landen und nichts mehr so sein wird wie am Anfang.

„SommerHundeSöhne“ ist Cyril Tuschis erster Spielfilm. Ein Road-Movie ist es geworden – aber was für eines: Unbekümmert erzählt Tuschi drauf los, reiht Einfall an Einfall, als ob es kein Morgen gäbe. Zum Glück kann er sich bei dieser halsbrecherischen Fahrt ganz auf seine Hauptdarsteller verlassen. Fabian Busch (Frank) und Stipe Erceg (Marc) spielen mit Verve und machen so die Unstimmigkeiten der Handlung schnell vergessen.

Auf den ersten Blick wirken die beiden wie Antipoden. Das schüchterne Muttersöhnchen Frank auf der einen, der unbeherrschte Draufgänger Marc auf der anderen Seite. Doch der Film geht weiter, er ergründet die Tiefenschichten der Charaktere. Hier geht es um zwei Söhne, die mit ihren Vätern zu kämpfen haben. Marcs Vater liegt todkrank in Marokko. Doch als Marc ihn endlich findet, herrscht zwischen beiden eisiges Schweigen. Frank dagegen hat den Tod seines Vaters nie verkraftet. Ein Tonband, auf dem ihm sein Vater ein Märchen vorliest, hütet er wie seinen Augapfel.

Die Reise nach Marokko wird mehr und mehr zu einer Reise nach innen. Auf ihrer Fahrt werden Marc und Frank mit ihren verborgenen Wünschen und Träumen konfrontiert, sie geraten in den Sog einer bizarren Märchenwelt. Irgendwo in Spanien, ganz in der Nähe der Autobahn stellen die beiden ihr Wohnmobil ab. Dort entdeckt Frank einen paradiesischen Garten voller Obstbäume. Hier hat sich Ilvy (Lilya Löffler) versteckt, in deren Haar ein Blumenkranz geflochten ist. Sie lächelt Frank mit so viel unschuldigem Charme an, dass dieser gar nicht anders kann, als dem Zauber dieser Schönheit zu erliegen.

Der Film tänzelt so gekonnt an der Grenze zwischen Realität und Fiktion entlang, dass man bald jeden Halt verliert. Die Handkamera entwirft wackelige Bilder, sie taucht den Film in ein diffuses, unwirkliches Licht. Die einzelnen Szenen sind schnell, manchmal hastig geschnitten. Abrupt wird der Zuschauer aus der Wirklichkeit in den Traum und wieder zurückgeworfen: Man wähnt sich mit Frank inmitten einer marokkanischen Oase, nur um dann unvermittelt in einer trostlosen Hochhauswüste wieder aufzuwachen. Cyril Tuschi ist ein Kobold. Er liebt es, Verwirrung zu stiften, mit dem Zuschauer seine Späße zu treiben. In einer Szene geht er besonders weit: In einer Bar versucht Marc ein paar Cowboys von seinen Zauberkünsten zu überzeugen. Er wirft ein Feuerzeug in die Höhe und auf wundersame Weise fällt es erst eine Minute später wieder vom Himmel.

Bei so viel charmanter Unbekümmertheit ist es umso unverständlicher, dass Cyril Tuschi der Mut gegen Ende des Films verlässt. In der letzten halben Stunde verkommt die Handlung des Films immer mehr zum belanglosen Teenagerdrama. Allein Fabian Busch ist es zu verdanken, dass der Film seine Glaubwürdigkeit nicht verliert. Es macht Spaß, ihm dabei zuzuschauen, wie er Franks Metamorphose vom verklemmt-neurotischen Teenager zum selbstbewussten jungen Mann gestaltet. Busch wechselt souverän zwischen den verschiedensten Gefühlslagen: Er wird von Angst- und Atemnotattacken gebeutelt, torkelt sturzbetrunken durch spanische Ferienorte und darf am Schluss unter einem Restauranttisch sein erstes Mal erleben. Als Frank ganz am Schluss lässig am Wohnmobil lehnt und zu Marc sagt, er werde nun nach Deutschland zurückfahren, zweifelt man nicht: Diesmal wird er sich ans Steuer des Wohnmobils setzen, den Schlüssel umdrehen – und das Gefährt steuern, wohin er will.

„SommerHundeSöhne“. Regie: Cyril Tuschi. Mit Fabian Busch, Stipe Erceg. Deutschland 2004, 96 Min.