„Nur Schwarz-Rot beendet den Stau“

Hans Arnold, der frühere Büroleiter von Willy Brandt, hält eine große Koalition für notwendig, um die Klientelpolitik der Volksparteien zu beenden. Er glaubt, dass sich die SPD personell und inhaltlich erneuern kann, wenn sie mitregiert

taz: Herr Arnold, Umfragen deuten auf eine große Koalition von CDU und SPD nach dem 18. September. Warum sollen sich die Sozialdemokraten darauf einlassen?

Hans Arnold: Wenn das Ziel der SPD, die Kanzlerschaft von Gerhard Schröder zu verlängern, nicht erreichbar ist, muss der alte sozialdemokratische Grundsatz gelten: Erst das Land, dann die Partei. Es wäre geradezu die Pflicht der SPD, dann eine große Koalition als Partnerschaft auf Zeit einzugehen. Voraussetzung ist allerdings, dass die SPD so stark wird, dass sie dort den Abbau von sozialer Gerechtigkeit verhindern kann.

Weshalb braucht es eine große Koalition?

Ich sehe das weniger in der Parteienarithmetik begründet. Es geht darum, einen Stau in der Politik aufzulösen, den wir über Jahrzehnte aufgebaut haben. 1966 lag dieser Stau in der Außenpolitik, weil Ludwig Erhard den außenpolitischen Karren vor die Wand gefahren hatte. Jetzt liegt der Stau im Abbau von Subventionen.

Und den kann nur Schwarz-Rot auflösen?

Ja. Denn jede Partei will Subventionen abbauen, nur nicht bei der eigenen Klientel. Nehmen Sie das Beispiel Wohnungsbausubventionen: „Wer ein Haus baut, macht keine Revolution“, hat schon Adenauer gesagt. Aus diesem alten antikommunistischen Ansatz hat sich eine Förderung entwickelt, die bis heute als Relikt fortlebt. Eine kleine Koalition kann das nicht auflösen. Rot-Grün hat es versucht, aber nicht geschafft. In der jetzigen Konstellation sind die Opposition und die Bundesländer zu stark, als dass man etwas durchsetzen kann. Deshalb hat sich Schröder ja auch für Neuwahlen entschieden.

Wo könnte eine große Koalition denn ansetzen?

Überall da, wo der Staat über die Grenzen des Notwendigen subventioniert. Die Wohnungsbauprämie ist ein Beispiel, die Subventionierung der Werften ist ein anderes: Faktisch werden da hohe Einkommen unterstützt. Oder die Gefahr durch Feinstaub: Da wurde tatsächlich gefordert, dass die Umrüstung von Kraftfahrzeugen durch den Staat unterstützt wird – ganz so, als ob es für die Autohersteller kein unternehmerisches Risiko geben würde. Das Problem ist: Weil die Subventionen über Steuern gehen und niemand weiß, was der Nachbar bekommt, sind sie für Politiker so bequem. Das ist der Krebsschaden unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik. Den müssen wir angehen, wenn wir als sozial gerechter Staat bestehen wollen.

Sie wünschen also weniger Staat – passt das zum Anspruch der SPD, dass der Staat für soziale Gerechtigkeit sorgt?

Ich spreche für weniger Staat, der sich in die Wirtschaft einmischt. Es gibt keine soziale Marktwirtschaft – Marktwirtschaft kann ihrer Definition und ihrer Zielsetzung nach nicht sozial sein. Es ist aber die Aufgabe der Politik, die staatliche Ordnung so zu gestalten, dass die Marktwirtschaft sich nicht gegen die Bürger wendet. Ich bin für weniger Politik in der Mitwirkung in der Wirtschaft, aber für mehr Politik für die Gesellschaft.

Würde eine große Koalition nicht die politische Mitte schwächen, wie es in den Jahren von 1966 bis 1969 geschehen ist?

In den 60er-Jahren waren die NPD und das, was man später die 68er genannt hat, doch schon vor der großen Koalition da. Das Entstehen der APO hatte nichts mit dem Ende der Koalition zu tun – das lag daran, dass die Positionen der großen Parteien schlaffer wurden. Heute geschieht doch eigentlich nichts anderes, als dass die PDS wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen wird. Da war sie doch schon einmal drin, das ist kein Drama. Ich finde, das wird von allen Politikern dramatisiert, weil man damit Emotionen hervorrufen will.

Würde eine Regierungsbeteiligung der SPD schaden, wenn sie quasi im Schatten einer den Ton angebenden CDU steht?

Nein. Das, was man allgemein als die Regenerierung der Partei bezeichnet, geschieht viel leichter in der großen Koalition. Dann kann sich die Partei auf den alten Grundsatz berufen, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, und sich als Korrektiv zur CDU profilieren. In der Opposition neben dem irrlichternden Linksbündnis wäre das viel schwieriger.

Wird Angela Merkel auch bei einem nicht ganz so guten Abschneiden die sichere Kanzlerin in einer großen Koalition?

Die stärkste Partei stellt den Kanzler oder die Kanzlerin – und die Kandidatin ist eindeutig Angela Merkel. Aber hinter ihr stehen schon mindestens zwei weitere CDU-Kanzlerkandidaten, die ungeduldig auf ihre Zeit warten.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN